Zeit der Raubtiere
obwohl sie sich lächerlich vorkam.
»Die letzten Tomaten des Sommers«, sagte Nick, als sie jedem seinen Teller vorsetzte.
Das rote Fruchtfleisch erschreckte Helena beinahe, so leuchtete es, glänzte fast unanständig auf dem feinen Porzellan. Eine ganze Weile blieb es völlig still im Raum, nur das Klirren der Gabeln war zu hören.
Schließlich brach Nick das Schweigen. »Ihr glaubt nicht, wen ich auf dem Hofmarkt gesehen habe«, sagte sie. »Diesen Widerling Frank Wilcox. Beim Einkaufen oder was weiß ich. Mit seiner neuen Frau, die übrigens wie zwölf aussieht und, nach ihrer Miene zu schließen, von so ziemlich allem unheimlich beeindruckt ist.«
»Ich wusste gar nicht, dass die Wilcox geschieden sind«, sagte Helena.
»Und wie! Nach der Sache mit dem Hausmädchen hat sie sich das Geld ihrer Familie gegriffen und ist auf und davon.«
Ed hob den Blick von seinem Teller. »Ich wusste nicht, dass er immer noch hier ist.«
»Ich auch nicht«, sagte Nick. »Aber er war da, und zwar höchstpersönlich. Komisch, irgendwie hat es mich wütend gemacht.«
»Ich habe schon seit Ewigkeiten nicht mehr an das alles gedacht«, warf Daisy ein und legte die Gabel aus der Hand.
»Wir haben dir das nie erzählt – du warst ja noch so klein –, aber Frank Wilcox hatte etwas mit diesem Mädchen, wie hieß sie noch gleich? Dein Vater hat die beiden gesehen.«
»Das wissen wir längst«, erwiderte Daisy. »Wir haben an der Speisezimmertür gelauscht, als er es erzählt hat.«
»Ihr Schlingel!«, sagte Nick. »Also wirklich – kann man sich nicht mal mehr vertraulich miteinander unterhalten?«
»Du hast dich damals mit fünf anderen Leuten unterhalten, Mummy. So richtig vertraulich war das nicht.« Daisy aß ein Stück Tomate.
»Vor dem Krieg hat mich Frank Wilcox mal im Sommer zum Tanzen ausgeführt«, sagte Helena. »Und auf dem Heimweg im Auto wurde er dann ziemlich rabiat. Es ist wohlgemerkt nichts passiert, aber von meinem Gefühl her hätte durchaus etwas passieren können, wenn ihr wisst, was ich meine.«
»Durchaus«, sagte Nick.
Helena erinnerte sich an seine Hände, mit denen er sie gekniffen hatte. Böse Hände. Am nächsten Tag hatte sie lauter blaue Flecken an sich entdeckt.
Sie sah, dass Ed sie mit unbewegter Miene musterte.
»Kaum zu glauben, dass der Täter nie gefunden wurde«, sagte Daisy.
Hughes und Ed tauschten einen Blick, den Helena als nicht gerade freundlich empfand.
»Was hätte das gebracht?«, meinte Hughes. »Der Schaden war bereits entstanden.«
»Wie kannst du so was sagen, Daddy? Natürlich hätte es etwas gebracht. Die arme Frau! Man muss ihr doch Gerechtigkeit widerfahren lassen. Da muss jemand bestraft werden.«
»Mein kleiner Hitzkopf«, sagte Tyler.
»Daisy hat recht«, sagte Nick nachdenklich. »Vielleicht wäre es besser gewesen. Es hätte jemand bestraft werden müssen.«
»Das habe ich nicht gemeint«, entgegnete Hughes.
»Ich weiß, Liebling«, sagte Nick leise. »Ich weiß, was du gemeint hast.«
Daisy sah Tyler an. »Jedenfalls war das der Sommer, in dem ich mich in dich verliebt habe. Und du miese Ratte hast die Frechheit besessen, Peaches Montgomery zu küssen.« Ihre Zuneigung zu ihm war förmlich greifbar, süß und schwer wie ein Engelskuchen.
»Ich hatte einen extrem schlechten Geschmack in den Fünfzigern«, sagte Tyler augenzwinkernd.
Nick lachte. »Ganz ehrlich, Ty, die war einfach nur grauenhaft!«
»Schon gut, schon gut.« Tyler hob die Hände. »Ich gebe zu, es war ein Fehler. Aber irgendwie habe ich mich in diesem Sommer auch in dich verliebt, obwohl ich viel zu blöd war, um es zu merken.« Er sah Daisy an. »Zumindest in deine Familie habe ich mich damals verliebt, in das alles hier.« Er hob sein Glas. »Trinken wir auf das Wohl der Derringer-Lewis! Ich danke euch für meine Errettung aus der immerwährenden Langeweile!«
»Hört, hört!« Auch Hughes hob sein Glas. »Und auf unsere schöne Helena. Herzlichen Glückwunsch! Und mögen diesem Geburtstag viele weitere glückliche Geburtstage folgen!«
»Alles, alles Gute, Süße«, sagte Nick und beugte sich vor, um mit Helena anzustoßen.
»Danke, danke, ihr Lieben.« Helena tastete nach ihrem Krönchen. »Ohne euch alle wäre ich jetzt nicht hier und könnte meinen Geburtstag feiern.«
»Sie wirken sehr glücklich heute.«
»Ja, mein Sohn hat mich besucht, und es war wundervoll, ihn wiederzusehen. Er ist so erwachsen geworden, dass ich fast ein bisschen erschrocken bin.«
»Wann
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