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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
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hatten Sie ihn zuletzt gesehen?«
    »Das weiß ich gar nicht mehr genau. Die Tabletten, wissen Sie …«
    »Sie haben viel Zeit verloren durch die Tabletten.«
    »Ja.«
    »Welches Gefühl löst das in Ihnen aus?«
    »Also, schuldig fühle ich mich nicht, falls Sie darauf hinauswollen. Ich war damals so müde.«
    »Ich will auf gar nichts hinaus. Wissen Sie noch, wann Sie Ihren Sohn zuletzt gesehen hatten?«
    »Das ist schwierig. Ich erinnere mich an ihn als Teenager und als kleineres Kind, aber dann hat sie ihn ins Internat gesteckt, und ich habe ihn nicht mehr gesehen.«
    »Mit ›sie‹ ist Ihre Cousine Nick gemeint.«
    »Ja.«
    »Sie haben das Gefühl, dass sie Ihnen den Jungen weggenommen hat.«
    »Es war nicht anders zu erwarten. Aber ich will, wie besprochen, nicht ständig darüber jammern. Das ist Vergangenheit. Sie tat, was sie für richtig hielt, wie Sie immer sagen. Aber ihn heute wiederzusehen war wirklich schön. Er hat sich verändert. Er hat jetzt … mehr Persönlichkeit.«
    »Inwiefern?«
    »Er hat sich sehr im Griff, und das ist gut, glaube ich.«
    »Was meinen Sie mit ›Er hat sich sehr im Griff‹?«
    »Ich weiß nicht. Er spricht nicht über seine Gefühle.«
    »Und das halten Sie für einen positiven Wesenszug?«
    »Ich weiß nicht. Ich sagte nur: ›Er hat sich sehr im Griff.‹«
    »Sie sagten aber auch, er spreche nicht über seine Gefühle.«
    »Ich hatte es nie so mit Wortspielereien, Dr. Kroll.«
    »Gut. Was hält Ihr Sohn davon, dass Sie jetzt hier sind?«
    »Das weiß ich nicht genau. Er sagte, ich wäre nicht gesund, und es wäre in Ordnung, dass ich hier bin. Ich glaube, er war neugierig auf die Klinik.«
    »Hat er Ihnen gegenüber einen Beschützerinstinkt?«
    »Darüber habe ich nie nachgedacht. Ich glaube, eher nicht. Er hat einen ausgeprägten Beschützerinstinkt – falls man es so nennen kann – gegenüber meiner Nichte Daisy.«
    »Welche Gefühle bringt er Ihnen entgegen, was glauben Sie?«
    »Keine Ahnung. Er hat sich, wie gesagt, sehr …«
    »… im Griff. Sie haben vorhin gesagt, es habe Ihnen einen Schrecken eingejagt, wie erwachsen er geworden ist. Warum hat es Sie erschreckt?«
    »Ich weiß nicht, warum, aber es war so. Er kam mir stärker vor, als ich ihn in Erinnerung hatte.«
    »Sie haben einmal gesagt, wie sehr Sie hoffen, dass Starksein zu seinen Eigenschaften zählen wird.«
    »Ja. Stark zu sein ist gut. Starke Menschen kriegen, was sie wollen, das haben Sie mir in einer unserer ersten Sitzungen beigebracht.«
    »Das ist, glaube ich, nicht das, was ich meinte.«
    »Doch, doch! Nur starke Menschen können andere starke Menschen abwehren. Ich will nicht, dass mein Sohn aufgefressen wird.«
    »Sie haben das Gefühl, aufgefressen worden zu sein?«
    »Ja. Aber wenn ich ihn jetzt sehe, bin ich mir sicher, dass in Eds Leben nur einer das Auffressen erledigen wird, und zwar er.«
    »Und das macht Sie glücklich?«
    »Ja, Dr. Kroll, das macht mich glücklich.«
     
    Es gab zwar kein Dessert, aber Hughes brachte eine Kristallkaraffe mit Portwein an den Tisch.
    »Ein kleiner Schlummertrunk gefällig?«
    »Ich weiß nicht. Der Wein war unglaublich schwer«, sagte Nick.
    »Nun komm schon, Nick!« Tyler legte ihr träge die Hand auf die Schulter. Einfach so. »Wir feiern eine Party.«
    »Helena, Süße?«
    Nick sah sie auffordernd an, aber Helena wusste, dass ihre Cousine sie prüfen wollte.
    »Nein danke.« Aus Portwein hatte sie sich ohnehin nie viel gemacht.
    »Ach, fast hätte ich es vergessen, Tante Helena«, sagte Daisy. »Dein Geschenk, das eigentliche. Aber dazu müssen wir alle in den Salon.«
    »Ich glaube, Helena hat für heute genug von deinen Geschenken, Daisy«, meinte Nick.
    Daisy verdrehte die Augen. »Daddy? Du musst mir helfen.«
    »Ich werde sein des süßen Weines Hüter«, rief Hughes fröhlich. »Lasset uns aufbrechen!«
    Er jedenfalls amüsierte sich prächtig.
    »Na gut, mein Lämmchen.« Helena stützte die Hände auf den Tisch, um sich vom Stuhl hochzustemmen. »Ganz, wie du meinst.«
    »Ja, mein Lämmchen«, sagte Tyler und reichte Daisy die Hand, die wahrscheinlich noch warm von Nicks Schulter war, »lasset uns aufbrechen!«
    Daisy schubste Tylers Hand weg und sagte: »Geht schon mal vor, ich komme gleich nach.«
    Alle gingen in den blauen Salon.
    »Möchtest du etwas anderes als Portwein, Helena?«, fragte Hughes.
    »Hm. Ich weiß nicht, ob ich darf.«
    Hughes warf Nick einen gequälten Blick zu, der mit einem kurzen Achselzucken quittiert

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