Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
Vom Netzwerk:
wurde. Helena musste insgeheim grinsen; das Ganze war einfach nur albern.
    »Einen Scotch? Schließlich hast du Geburtstag.«
    »Stimmt, ich habe Geburtstag. Dann bitte einen Scotch.« Helena lächelte lieb zu Nick hinüber, die den Blick abwandte. So präsent, so wach war sie schon lange nicht mehr gewesen. Es war ein gutes Gefühl.
    Nick trat an eines der großen Fenster und legte die Hand ans Fliegengitter. »Der Sommer ist vorbei. Man spürt schon fast den Herbst in der Luft, nicht wahr?«
    »Ich mag den Herbst«, erwiderte Helena. »Für mich riecht der Herbst nach Veränderung.«
    »Wirklich?« Nick sah sie an. »Ich weiß nicht. Für mich riecht er nach Tod – all das nasse, verfaulende Laub.«
    »Das ist beides dasselbe«, warf Ed ein.
    »Reichlich morbide.« Tyler wirkte leicht angewidert.
    »Wieso denn?«
    Tyler setzte zu einer Antwort an, begnügte sich dann aber mit einem Schulterzucken und einem Schluck aus seinem Portweinglas.
    »Nein, ich finde, Ed hat recht«, sagte Nick. »Mit den Jahreszeiten und so. Aber es macht mich traurig. Ich habe beides nie gemocht, Veränderungen nicht und den Tod auch nicht.«
    »Aber du bist doch der Teufel, du lebst ewig«, sagte Helena. »Die gute alte Nick, wie Großvater immer sagte.«
    »Danke, Süße, wirklich zu freundlich.«
    »Oder doch nicht? Also, ich hätte es dir sofort abgenommen.« Helena versuchte zu lachen, doch selbst in ihren eigenen Ohren klang es schroff.
    »Tja, dann bin ich es wohl. Na und! Ich werde mich bestimmt nicht dafür entschuldigen.«
    »Aber nein, wie kommst du denn auf die Idee?« Helena trank den nächsten Schluck Scotch.
    »Das würde dir so passen, was?«
    »Seit wann ist das, was mir passt, hier ein Thema?«
    »Herrgott noch mal, Helena, dann rück doch endlich raus mit der Sprache und sag, was du zu sagen hast!«
    »Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst, meine Liebe.«
    »Gut – ganz, wie du willst!« Nick schüttelte den Kopf auf eine Art, dass Helena sie am liebsten geohrfeigt hätte. »Dann bin ich eben der Teufel, aber ich bin, verdammt noch mal, dein Teufel, und daran gewöhnst du dich besser!«
    Es war still geworden. Tyler hatte den Blick gesenkt, während Eds Augen auf Nick ruhten. Hughes hatte sich aus dem Staub gemacht. Typisch, dachte Helena.
    »So, alle miteinander!« Daisy betrat, ahnungslos wie immer, das Zimmer mit einem flachen quadratischen Paket unter dem Arm. »Ta-taa!« Sie überreichte Helena das Geschenk. »Daddy? Kommst du bitte, wir brauchen dich. Wo ist er denn hin?«
    Helena zerriss das Geschenkpapier mit einer Heftigkeit, die sie selbst überraschte. Es war eine Schallplatte. Auf der Hülle sah man einen in dunstiges Licht getauchten Mann in Hippie-Aufmachung, der den Blick vom Betrachter abwandte. »Van Morrison Blowing Your Mind!« stand in dicken, wurstartigen Buchstaben darüber. Helena lachte laut auf und hielt die Platte hoch, damit alle sie sehen konnten.
    Nick schlug die Hand vor den Mund, um nicht loszuprusten, und sagte, während sie auf Helena schaute: »Also wirklich, Daisy! Findest du das passend für deine Tante?«
    »Ihr seid alte Spießer. Das hat doch gar nichts mit Drogen zu tun.« Daisy nahm das Album und ging zum Plattenspieler. »Du musst dir diesen Song anhören, Tante Helena. Er heißt ›Brown-Eyed Girl‹. Der handelt von dir.« Sie betrachtete Helena mit zusammengekniffenen Augen. »Es sei denn, du hast blaue.« Dann begann auch sie zu lachen. »Ach, egal. Irgendwie mache ich meine Sache heute nicht besonders gut, was?« Sie setzte die Nadel auf das Vinyl.
    Drei Töne vom E-Bass, dann Gitarrenklänge im Calypso-Stil. Helena lächelte. Es war ein guter Song, ein fröhlicher Song, einer von den Songs, die es schafften, dass man glücklich sein wollte, obwohl einem gar nicht danach war.
    Daisy nahm Tylers Hand und begann ein bisschen Twist zu tanzen. Nach einer Weile streckte sie den Arm nach Ed aus und zog ihn zu sich, so dass die drei einen engen Kreis bildeten.
    Helena betrachtete sie. Eine kleine Zigeunerbande, sie hatten noch alles vor sich. Selbst ihr Sohn, der oft so ernst war, grinste und ahmte Daisys Chubby-Checker-Twistbewegungen nach, so gut er konnte.
    Sie sah zu Nick hinüber. Ihre Cousine hielt ihr die Hand hin. Helena ergriff sie seufzend. Nick zog sie hoch und legte den Arm um Helenas Taille.
    »Wir sind alte Spießer«, sagte sie.
    Helena lehnte ihr Gesicht an die weiche Wange ihrer Cousine und verspürte eine unbeschreibliche Sehnsucht. Über Nicks Schulter

Weitere Kostenlose Bücher