Zeit der Sinnlichkeit
mich sogar ein wenig wiederbelebt durch die liebevolle Gegenwart von John, Ambrose, Edmund, Hannah, Eleanor und Daniel.
Wenn sie dann sprechen, wobei sie die gewöhnlichsten Bemerkungen mit einem »Mir ist durch Gott der Gedanke gekommen« einleiten, fühle ich mich von dem, was sie zu sagen haben, so bewegt, daß ich lachen möchte. Und dieses Gefühl unterdrückten Lachens bringt mich dem Glück näher, als ich es lange Zeit gewesen bin.
Bei den Zusammenkünften trage ich stets meine Perücke, um John und den anderen den Anblick meiner Schweineborsten zu ersparen. In der Art, wie sie die Stühle aufstellen, liegt eine Adrettheit, die ich nicht verderben will. Jedoch bin ich mit meiner Perücke und meinem Rock (normalerweise dem schwarz-goldenen, nicht dem roten) an Stelle des Lederüberwurfs dem Merivel meines früheren Lebens wieder sehr ähnlich, und der Robert von jetzt ist unter dieser alten Eleganz nicht zu sehen. Er ist aber dennoch gegenwärtig. Er ist dankbar für die Wärme des Feuers in der Wohnstube und für die Stimmen von Hannah und Eleanor, die so freundlich und beruhigend sind, daß er manchmal auf seinem Stuhl einschläft, wenn eine von ihnen spricht. Doch das große Problem mit den Quäkern ist, daß sie einen herumschubsen: Sie lassen einen nicht träumen.
Der Duft der Blumen
D ie Winde haben sich gelegt, und die Aprilluft ist still, ruhig und warm. Im Freilufthof treibt die große Eiche Blätter von einem so saftigen Grün, daß mir das Wasser im Munde zusammenläuft. Ich will diese Blätter zwar nicht gerade verspeisen, sie mir aber doch irgendwie einverleiben, ehe ihre Frische dahinschwindet.
Es hat längere Zeit nicht geregnet. Durch die gelbe Kruste auf dem Schlamm vom Whittlesea sprießt frisches Gras, und im Graben draußen vor der Mauer blühen Schlüsselblumen und Veilchen. Pearce scheinen diese Blumen geradezu in Verzückung zu versetzen, so, als habe er noch nie zuvor so schöne und herrlich duftende gesehen. Er pflückt und untersucht sie nicht nur, sondern ich habe auch schon gesehen, wie er sich am Grabenrand hinlegte, seine Nase in ein Büschel Schlüsselblumen steckte und sich zehn Minuten lang nicht vom Fleck rührte. An dem leeren Blick seiner blauen Augen erkenne ich, daß seine Gedanken mit einem Blumenexperiment beschäftigt sind, aber ich habe ihn nicht danach gefragt, damit er aus meinem Interesse nicht den Schluß zieht, daß bei mir wieder ein tieferes Interesse an der Biologie erwacht ist.
Hannah und Eleanor danken Gott immer wieder dafür, daß er uns so »freundliches Wetter« gibt, ich aber bin zu dem Schluß gekommen, daß für mich so ein Frühling grausam ist: Ich fühle mich in ihm lüstern und müßig. Ich hätte lieber wieder einen strengen Himmel und eine scharfe Kälte, da das besser zu meinen Alltagspflichten passen würde, die
sehr hart sind und mir überhaupt keine Muße lassen, sondern mir vielmehr viele Stunden der anstrengendsten Arbeit abverlangen, die ich mir vorstellen kann, nämlich die mit meinem Skalpell.
Jeder der Haupträume des George Fox, Margaret Fell und William Harvey hat ein kleines, mit Öllampen beleuchtetes Vorzimmer, wo Patienten untersucht und behandelt werden und wo auch kleine Operationen durchgeführt werden. Bevor ich gekommen bin, waren Pearce und Ambrose die einzigen Ärzte im Whittlesea, so daß es ihre Aufgabe gewesen war zu versuchen, den Wahnsinn mit dem Messer zu lindern. Nun bin ich von Pearce gezwungen worden, »Whittlesea nützlich zu sein, indem du all deine Fähigkeiten in den Dienst des Allgemeinwohls stellst«, mit anderen Worten, mich an dem Schneiden und Blutablassen zu beteiligen, und zwar ohne zu klagen, denn Pearces Auge ruht ständig beobachtend und abschätzend auf mir. Er weiß, wie sehr ich davor zurückschrecke, mich wieder meinem früheren Beruf zuzuwenden. Er weiß aber auch, daß ich, wenn er und die anderen Freunde mich von hier wegschicken würden, nicht wüßte, in welche Richtung ich reiten sollte.
Glücklicherweise mußte ich noch keine großen Operationen durchführen, doch herrscht unter denen, die sich wissenschaftlich mit den Geisteskrankheiten befassen, ein starker Glaube an die Heilkraft des Aderlasses, und den führen wir hier jeden Tag durch. Ich kann nicht ermessen, wie sehr ein Mensch leidet, dessen Kopf über eine Schüssel gehalten wird, während mit einem Skalpell eine Ader an seiner Schläfe geöffnet wird, doch wenn ich es bin, der den Einschnitt durchführen muß, dann fühle
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