Zeit der Sinnlichkeit
sähe. Doch ich wußte, daß dies nicht geschehen würde. Danseuse würde laufen, bis die Nacht hereinbrach. Sie würde laufen, bis sie lahmte. Sie würde niemals nach Whittlesea zurückkommen.
In weniger als fünf Minuten waren Danseuse und die Jungen außer Sichtweite. Ich fühlte mich sehr töricht, wie ich da auf der Straße herumstand, außerdem fiel mir wieder ein, weshalb ich gekommen war, und so ging ich zu Thomas Bucks Häuschen. Der Dachdecker war nicht da. Seine dürre Frau, die wie ein Hühnchen ohne Fleisch auf den Knochen aussah, sagte mir, daß sie zwei Frauen durch das Dorf habe gehen sehen, doch jetzt wären sie schon auf dem Weg nach
March. Ich dankte ihr, und sie schlug mir die Tür vor der Nase zu. Ich hatte den sehnlichen Wunsch, mich ein wenig hinzusetzen.
Wenn ich jetzt daran zurückdenke, dann war jener Tag, an dem ich Danseuse verlor, jener Tag, an dem sich Piebalds Mutter und Schwester und ihr Korb mit Lebensmitteln in Luft aufgelöst zu haben schienen, einer der bedeutendsten seit langer Zeit. Denn von diesem Tag an war ich nicht mehr so eine Art Besucher in Whittlesea (einer, der sich jedesmal, wenn er das Wiehern seines Pferdes hörte, vorstellte, daß er später einmal davonreiten würde, zurück in sein altes Leben), sondern ein Dazugehöriger. Von diesem Tage an, an dem der Stall, in dem Danseuse untergebracht gewesen war, leer blieb, habe ich mich dem Whittlesea ausgeliefert. Wenn ich mir mein künftiges Leben vorstelle, dann in dieser Umgebung. Ich werde mich ganz und gar ändern. Ich werde nicht mehr zu »ruhelos und oberflächlich« fürs Angeln sein. Ich werde ein ruhiger, nachdenklicher Mensch werden. Und ich werde meine Fähigkeiten als Arzt und Betreuer wachsen lassen. Ich fühle mich sehr bewegt von meinen Gedanken. Denn es ist mir klar, daß all dies nur geschehen kann, weil Pearce mich liebt und ich deshalb hierherkommen konnte und weil dies die größte Liebe ist, die ich jemals von jemandem empfangen habe – und ich weiß wirklich nicht, warum das so ist.
Doch ich muß Euch noch etwas anderes über diesen Tag erzählen. Es gab noch ein wichtiges Ereignis.
Die Gassenjungen kamen erst nach einer Stunde zurück. Während dieser Zeit saß ich auf einem Haufen Weidenbret
ter und zählte das Geld, das ich bei mir hatte: Es waren genau vier Pence.
Sie waren sehr enttäuscht, daß es ihnen nicht gelungen war, das Pferd einzufangen, um meinet- und um ihretwillen, denn es war ihnen klargewesen, daß eine Belohnung gewinkt hätte, und als ich jedem von ihnen zwei Pennies gab, sahen sie auf die Münzen, als wollten sie diese in Silber verwandeln.
Ich dankte ihnen für ihre tapfere Jagd und bat sie, mir Danseuse, falls sie nach Earls Bride zurückkehren sollte, nach Whittlesea zu bringen. Sie nickten nur und machten einen niedergeschmetterten Eindruck – begreiflicherweise –, und ich verließ sie, damit sie zu ihrem Abendessen aus Getreidebrei und Meerfenchel gehen konnten. Langsam lief ich nach Whittlesea zurück, wobei ich mir all meine kühnen und prächtigen Ritte auf Danseuse, seit ich sie aus dem Stall des Königs bekommen hatte, noch einmal vor Augen führte, um sie dann, als ich das Tor zum Whittlesea erreicht hatte, für immer aus meinen Gedanken zu verbannen und schwungvoll hineinzugehen, als ob mir der Verlust meines Pferdes überhaupt nichts ausmachte.
Ich ging in die Küche des Betreuerhauses, da ich an der Reihe war, Daniel bei der Zubereitung unseres Abendessens zu helfen, und fand dort am geschrubbten Tisch Ambrose vor, der sehr ernst und kummervoll dreinblickte. Er forderte mich auf, mich zu setzen, und ich konnte spüren, daß ich eine schreckliche Nachricht zu hören bekommen würde. Daniel, der Kartoffeln in eine Schüssel schabte, schaute von Ambrose zu mir und dann wieder zu Ambrose und sagte leise zu ihm: »Robert kann nichts dafür, Ambrose«, und Ambrose nickte.
Es folgte eine lange Pause, in der Ambrose die Hände unter seinem Bart zu seiner gewohnten Geste zusammenlegte. Dann erzählte er mir mit sehr trauriger Stimme, daß an diesem Nachmittag, während meiner Abwesenheit, etwas im Margaret Fell vorgefallen sei. Die Frau Katharine habe ihre Decke in Fetzen zerbissen und zerrissen, diese Fetzen zu einem Seil zusammengeknotet und dann versucht, sich an einem Querbalken unter dem Dach aufzuhängen.
»Glücklicherweise«, sagte Ambrose, »ließen uns die Schreie der anderen Frauen alle hinstürzen, und wir konnten sie abschneiden,
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