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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Gesicht im Stroh, doch als ich an ihm vorbeiging, bemerkte ich, als wäre es das erste Mal, wie sehnig und wenig muskulös sein Nacken und seine Gliedmaßen doch sind, und ich dachte an seine entschwundenen Lebensmittel und daran, daß er, wenn ich ihn irgendwann von seinen Ketten befreien und bitten würde, mich eigenhändig zu töten, wahrscheinlich gar nicht mehr die Kraft dazu haben würde.
    Trotz Edmunds Rat ging ich sofort zu der Box, in der Katharine lag. Ich beugte mich über sie. Sie war aus ihrem Laudanum-Schlaf erwacht, doch das Opiat war noch in ihrem Blut, so daß sie unbeweglich dalag. Als sie mich sah, versuchte sie, sich aufzusetzen, doch als sie ihr Bein bewegen wollte, fühlte sie sich von der Eisenmanschette an ihrem Knöchel zurückgehalten. Sie öffnete den Mund zu einem Schrei, es kam aber kein Laut heraus. Ich wollte gerade meine Hand ausstrecken und sie ihr beruhigend auf die Stirn legen, als Ambrose in die Box trat. Er kniete nieder, hob Katharines Oberkörper ein wenig an und hielt ihr einen Becher Wasser an die Lippen. Sie trank, doch sah sie dabei weder Ambrose noch den Becher an, sondern nur mich, und während sie das Wasser in sich hineinschlürfte, füllten sich ihre Augen mit dicken Tränen. »Sprich zu ihr«, sagte Ambrose ruhig. »Sag ihr, daß du Whittlesea nicht verläßt, weil dein Leben jetzt hier ist.«
    Ich versuchte es. »Mein Pferd ist davongelaufen«, sagte ich, »so daß ich nicht mehr hinaus vors Tor kann. Ich werde –«
    Ich konnte den Satz nicht zu Ende sprechen. Ambrose beendete ihn für mich: »– bei uns bleiben«, sagte er. »Robert wird bei uns allen bleiben.«
    Ich nickte. Ambrose nahm den Wasserbecher von ihren Lippen und legte sie wieder hin. Und mir drängte sich das Bild des Ehemanns auf, des Steinmetzes, der seine Frau auf die gebogenen Rückseiten der Gewölbe legte, sich die Hose aufknöpfte und von ihr Handlungen der Unterwerfung direkt unter dem Dach des Gotteshauses verlangte.
     
    Zwei Tage später wurde Katharine zum Margaret Fell zurückgebracht. Ambrose unterwies mich in dem, was er »neue Methoden« bei ihrer Betreuung nannte. Ich durfte sie nur noch einmal am Tage besuchen und überhaupt nicht mehr in der Nacht, außer wenn ich mit der Nachtbetreuung an der Reihe war. Meine Besuche bei ihr sollten nicht länger als eine halbe Stunde dauern. Ich durfte ihre Füße weiter mit Seife reiben, »aber nur mit Seife, Robert, nicht mit deiner bloßen Hand«, und ihr ansonsten nicht mehr Aufmerksamkeit schenken als jedem anderen Insassen von Whittlesea. »Auf diese Art«, sagte Ambrose, »wird ihre Zuneigung zu dir unter Kontrolle gehalten, aber hüte dich vor allem davor, Robert, dich davon geschmeichelt zu fühlen und es darauf abzusehen.«
    Ich erwiderte so wahrheitsgemäß, wie es mir möglich war, daß ich von Katharine überhaupt nichts wollte, sondern nur Heilung für ihre Schlaflosigkeit suchte.
    »Heilung!« sagte Ambrose. »Kein Wort betört uns so wie
dieses. Dabei weißt du als Arzt doch, daß manche Zustände und Beschwerden nicht der Heilung zugänglich sind – es sei denn, Gott greift ein.«
    »Das gebe ich zu«, sagte ich. »Aber was den Schlaf angeht, so fange ich seit kurzem an, einige seiner Geheimnisse zu verstehen …«
    »Ich weiß, daß du das glaubst, Robert. Es ist aber möglich, daß du auf diesem Gebiet noch nicht so bewandert bist, wie du selber meinst. Doch die Zeit wird es zweifellos zeigen.«
    Ich seufzte, niedergeschlagen durch Ambroses Strenge.
    »Die Zeit!« sagte ich verdrossen. »Mir wurde einmal gesagt, ich sei ein Mann meiner Zeit, doch glaube ich, daß es einen Punkt gegeben hat – ich könnte nicht genau sagen, wann das war –, an dem meine Zeit und ich begonnen haben, getrennte Wege zu gehen, und nun gehöre ich ihr überhaupt nicht mehr an, ja, eigentlich gehöre ich nirgendwo mehr richtig hin …«
    »Hüte dich vor deinem maßlosen Selbstmitleid, Robert«, sagte Ambrose, »und wende deine Gedanken und Energien lieber der Musik zu.«
    »Der Musik?«
    »Ja. John und ich und die anderen haben nun lange genug über einiges nachgedacht, was du auf einer unserer Zusammenkünfte im Frühjahr gesagt hast. Und wir räumen ein, daß eine kleine Tanzveranstaltung – vielleicht am Mittsommertag? – für uns alle wohltuend sein könnte. Nun, was meinst du? Wirst du für uns aufspielen?«
    Ich blickte Ambrose an. Sein Gesicht war zu einem breiten Grinsen verzogen. Ich räusperte mich.
    »Ich bin kein so …

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