Zeit der Sinnlichkeit
umsonst gemacht haben.«
»Ja, John.«
Ich ging also hinaus, um Danseuse, die ich lange nicht geritten hatte, zu satteln. Der Sturm war ganz vorbei, und in der strahlenden Sonne, die nun wieder auf uns herunterschien, versammelten sich die Insassen des Margaret Fell für ihr Luftschnappen. Ich kümmerte mich jedoch nicht um sie, da ich nur darauf bedacht war, die Besucher einzuholen.
Beim Anblick eines Sattels stieß Danseuse ein freudiges Wiehern aus, und als ich den Sattelgurt festzog, zitterten ihre Flanken. Kaum hatte ich sie bestiegen, galoppierte sie schon auf das Tor zu, so daß sie einiges Erschrecken unter den Frauen auslöste, die um die Eiche herum spazierengingen. Ich versuchte, sie zu zügeln, doch sie zog so heftig mit dem Kopf, daß ich nach vorn gerissen wurde und fast das Gleichgewicht verlor. Daniel öffnete uns das Tor, und draußen waren wir aus Whittlesea, und meine prächtige Stute fiel in einen Galopp wie ein Streitwagenpferd, so daß wir in Windeseile die verstreut liegenden ärmlichen Häuser von Earls Bride erreicht hatten.
Ich hatte erwartet, Piebalds Besucherinnen noch vor dem Dorf einzuholen, aber sie waren nirgends zu sehen. Es gelang mir, Danseuse zu einem ruhigen Trab zu mäßigen, und wir ritten durch Earls Bride und auf der anderen Seite, wo der ebene, schlammige Weg nach March führt, wieder hinaus. Da das Land so flach ist, konnte ich die Straße ein ganzes Stück weit überblicken, doch es war niemand auf ihr zu sehen. Ich überredete mein Pferd zum Anhalten, stieg ab und sah zum Dorf zurück. Wie Ihr schon wißt, gibt es in diesem Ort weder eine Gaststätte noch eine Herberge, so daß
ich mir nicht vorstellen konnte, wo die beiden Frauen geblieben waren. Es war gerade so, als hätten sie sich in der klaren Luft, die noch nach Regen roch, aufgelöst.
Ich führte Danseuse am Zügel, meine Hand dicht am Gebiß, und versuchte nun, sie herumzudrehen, weil ich zum Dorf zurückwollte, um an der Tür von Thomas Buck (ein Dachdecker und der einzige herzliche Mann in dieser traurigen Gemeinde) anzuklopfen und ihn zu fragen, ob die beiden Frauen in einem der Häuser um ein Obdach oder eine Rast gebeten hätten. Doch Danseuse ließ sich nicht herumziehen. Sie verdrehte ärgerlich die Augen, bäumte sich auf und riß mir die Zügel aus der Hand. Unwillkürlich trat ich zurück. Sie ist ein großes und kräftiges Pferd, und wenn mein Leben auch unerfreulich ist, so wollte ich doch nicht von ihren Hufen zerstampft werden und es auf dem einsamen Damm in den Fens ganz verlieren.
Jetzt weiß ich, daß ich, anstatt zurückzutreten, mit aller Kraft hätte versuchen sollen, Danseuse am Zaumzeug festzuhalten. Denn ich war dabei, sie zu verlieren. Schon als wir Whittlesea verlassen hatten, war ihr in der Sonne der Duft der Freiheit in die Nüstern gestiegen. Nun sah sie die gerade, ebene Strecke vor sich und nahm sie in Besitz. Ihre Hufe hochwerfend, vollführte sie einen letzten kleinen Freudentanz, und dann schoß sie davon, noch schneller, schien mir, als ich sie je geritten hatte, und sogar noch schneller als bei unserem nächtlichen Ritt nach Newmarket. Sie ließ mich mit einem Fuß im Graben, dumm hinter ihr herblickend, zurück.
Als ich mich wieder gefaßt hatte, tat ich, was mir als einziges einfiel: Ich rannte hinter ihr her und rief ihren Namen, obwohl ich doch wußte, daß dies ein vergebliches Unterfan
gen war, geradeso, als würde ein Huhn versuchen, hinter einem Adler herzufliegen. Doch dann tauchten an meiner Seite zwei magere Jungen auf, zerlumpt und ohne Schuhe, ungefähr zehn oder elf Jahre alt.
»Wir kriegen es, Sir!« riefen sie, und ohne meine Einwilligung abzuwarten, rannten sie laut schreiend und gestikulierend die Straße hinunter.
Ich blieb stehen und holte ein Tuch aus der Tasche meiner Kniehose, mit dem ich mir den Schweiß von der Stirn wischte. Dann schaute ich ihnen nach. Danseuse war kein bißchen langsamer geworden, doch die Jungen schienen nicht zu verstehen, wie leicht sie ihnen davonlief, denn sie spurteten tapfer weiter, rannten sogar noch miteinander um die Wette, weil jeder sie als erster einfangen und zurückbringen wollte. Ich sah, wie der eine auf der vom Regenguß schlammigen Straße ins Stolpern kam, das Gleichgewicht aber schnell wiedergewann und weiterstürmte. Beim Anblick ihrer Entschlossenheit war ich einen Augenblick versucht zu hoffen, daß ich sie, wenn ich nur geduldig wartete, spät am Nachmittag mit meiner Stute zwischen sich zurückkehren
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