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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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bewegt, ganz so, wie euch der Sinn steht? Stellt euch vor, ihr seid herumfliegende Blätter oder hüpfende Kinder!«
    Einige lachten darüber. Ich lächelte und tat so, als sei ich sehr froh und glücklich, dann schickte ich mich an zu spielen. Als ich das Instrument hob, streckte Katharine ihre Hand aus, hielt mich am Arm fest und sagte zu mir: »Tanz mit mir! «
    »Ich kann nicht …«, sagte ich.
    »Robert kann nicht«, sagte Daniel. »Robert ist doch die Musik!«
    »Tanz mit mir «, sagte Katharine noch einmal und zerrte an mir, daß ich fast vom Podium stürzte.
    Doch jetzt war Edmund neben Katharine, da er gesehen hatte, wie mir geschah.
    »Komm!« sagte er zu ihr. »Ich zeige dir eine richtige Tarantella.« Und sie ließ sich wegführen.
    »Gott hilf uns, Daniel!« flüsterte ich.
    Und er lächelte sein Lächeln, das wie das eines Kindes ist.
    So fingen wir an, den Tanz zu spielen. Die Hitze des Nachmittags und die Angst vor einem Scheitern unseres Unternehmens ließen uns womöglich noch schneller und flotter spielen als sonst, und als wir zum zweiten Rondo kamen, fing ich an, Ch. de B. Fauconnier gegenüber, wer immer er gewesen sein mag, Dankbarkeit zu empfinden, denn er hatte wirklich ein merkwürdiges und anregendes Musikstück geschrieben. Als wir es fast zu Ende gespielt hatten, flüsterte ich Daniel zu, wir sollten wieder von vorn beginnen und nicht aufhören, denn ich sah, daß es jetzt die meisten der Versammelten in seinen Bann geschlagen hatte, die nun auf ihre unkoordinierte Art versuchten, sich zu bewegen.
    Wir spielten die Tarantella fünfmal hintereinander, ohne innezuhalten, und der Schweiß strömte mir von der Stirn und brannte mir in den Augen, so daß die Szene vor mir zu flimmern anfing und Funken sprühte wie das étincellement eines Sterns. Doch am Ende der fünften Tarantella sah ich, daß sich jetzt jeder bewegte oder zumindest versuchte, sich zu drehen und herumzuwirbeln. Sie klatschten in die Hände, einige versuchten zu singen, einige heulten, und einige schrien wie der Teufel.
    Ich habe noch nie etwas gesehen oder gehört oder mitgemacht, das mit dem, was in dieser Stunde hier geschah, auch nur die entfernteste Ähnlichkeit hatte. Als es vorbei war, als wir zu spielen aufhörten und uns die Gesichter abwischten, hatte ich für einen winzig kleinen Augenblick das Gefühl, daß ich nicht mehr bloß ich selbst war, nicht mehr Merivel und nicht einmal Robert, sondern vollkommen eins mit diesen Männern und Frauen hier, und ich hatte den Wunsch, meine Arme weit auszubreiten und sie alle zu umfangen.
     
    In der Nacht danach fanden Pearce und ich bei unserem Rundgang im William Harvey eine tote Frau.
    Es war schrecklich, das Lärmen und den Aufruhr im Whittlesea zu sehen, und ich wußte, daß die Musik schuld daran war.
    Als wir den toten Körper zudeckten, an dem wir, wie Pearce mir mitteilte, am nächsten Tag eine Autopsie vornehmen würden, sagte ich zu ihm: »Wir haben zwei oder drei Menschen im George Fox und im Margaret Fell geholfen und einen hier dafür geopfert.« Er nickte. »Niemand von uns«, sagte er, »hat das genügend bedacht.«
    Wir verabreichten jedem im Whittlesea eine Dosis Belladonna, das jedoch einige nicht hinunterschluckten (Piebald spuckte es mir ins Gesicht), und ließen sie dann in ihrem Elend zurück, das keiner von ihnen in Worte fassen konnte.
    Es war eine große Erleichterung, das Whittlesea Hospital zu verlassen und ins Margaret Fell zu gehen, das trotz des starken Schweißgeruchs dort ein Gefühl der Ruhe ausstrahlte, und wir sahen sofort, daß alle Frauen, bis auf Katharine, schliefen. Sie saß aufrecht da und hielt ihre Puppe an der
Brust – die nackt war und aus ihrem zerrissenen Kleid hing –, als wolle sie einen Säugling stillen.
    »Bleib ein paar Minuten bei ihr«, sagte Pearce, »ich gehe schon zum George Fox hinüber. Es ist fast Morgen, und deine Tarantella hat mich müde gemacht, Robert.«
    Zu dieser Zeit hatte ich mir gelobt, es zu vermeiden, mit Katharine allein gelassen zu werden. Ambrose und Edmund hatten mir geholfen zu erkennen, welchen Schaden ich ihr – wenn auch unbeabsichtigt – zugefügt hatte, indem ich durch mein Verhalten in ihr eine Zuneigung (oder sogar Liebe?) geweckt hatte, die ich nicht erwidern konnte. Seitdem ich das eingesehen hatte, hielt ich mich möglichst fern von ihr. Manchmal bat ich Hannah oder Eleanor, die Aufgabe des Füßereibens zu übernehmen, und manchmal sagte ich zu ihr, ich könne nicht bleiben

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