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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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und ihren Geschichten von früher zuhören, da ich zuviel zu tun habe.
    Doch in dieser Nacht nach der Tarantella setzte ich mich zu ihr, nahm ihre Füße in meinen Schoß und fing an, sie zu reiben, da mir ihre Schlaflosigkeit wieder einmal sehr naheging.
    Sie saß ganz still da und beobachtete mich. Nach ein paar Minuten legte sie ihre Puppe weg, und dann, mit einer streichelnden Bewegung, zog sie ihr Nachtgewand zur Seite und entblößte ihre andere Brust vor mir. Sie leckte sich die Lippen und sah mich an, und in ihren erschöpften Augen konnte ich eine langsam aufsteigende, schläfrige, alles verschlingende Lust erkennen. Ich ließ ihren Fuß los und machte Anstalten aufzustehen, doch sie griff nach mir und hielt mich fest. Und dann schob sie die Ferse ihres rechten Fußes hinauf bis zu meinem Unterleib, wo sie mich, wie ich voller Scham und Furcht spürte, steif vorfinden würde.
    Ich betete.
    Ich betete, daß Pearce zurückkommen möge.
    Ich betete zu Gott, daß er Robert die Stärke gebe wegzugehen und nicht Merivel tun lasse, was dieser wollte, nämlich die verrückte Frau unter sich hinlegen.
    Eine kleine Weile verging, in der ich mich nicht rührte, und dann hörte ich eine Stimme, die leise von der Tür her meinen Namen rief. »Hier bin ich, John«, sagte ich. Ich stand auf und folgte meinem Freund hinaus in die kühle Luft des Morgens um vier Uhr früh.

Im Haus Gottes
    H inter dem Whittlesea ist ein von einem niedrigen Zaun umgebener Friedhof. Dieser war mir nicht gezeigt worden, als ich nach Whittlesea kam, doch kurze Zeit später entdeckte ich ihn selbst. Augenblicklich befanden sich dort sechs Gräber, die, wie man mir sagte, von den Männern des George Fox gegraben worden sind, »denn einer von ihnen ist in seinem Leben, ehe er verrückt wurde, ein Totengräber gewesen und kann ein sehr schönes, ordentliches Grab ausheben«.
    Ich fragte Ambrose, ob die Körper der Toten nicht den Verwandten zurückgegeben würden, damit diese sie dort begraben könnten, wo sie einmal zu Hause waren. Ambrose erwiderte, daß der Leichnam, falls die Verwandten kamen und nach ihm fragten, in einen Sarg gelegt und ihnen übergeben würde, »aber es fragen nur wenige nach, Robert, da es nun mal so ist, daß sehr viele der Leute hier von ihren Familien schon als tot angesehen werden«.
    Diese Bemerkung, über die ich oft nachgedacht habe, hat mir geholfen, daran zu glauben, daß Merivel tot ist und Robert seinen Platz eingenommen hat. Leider jedoch findet Merivel hin und wieder das Grab einen unerträglichen Ort und fordert lautstark, herausgelassen zu werden. Ich fürchte, daß er niemals ganz ruhig sein und den Tod hinnehmen wird, solange er nicht wirklich begraben ist (hier im Whittlesea?) und man in seiner Nähe nichts anderes mehr hören kann als den Fenland-Wind, der durch das Gras streicht.
    Während Ambrose, Pearce und ich mit der Autopsie der Leiche der Frau begannen, die wir im William Harvey tot auf
gefunden hatten, begab sich eine Totengräbergruppe unter Edmunds Aufsicht mit Spitzhacken und Spaten an die Arbeit. Es war wieder ein sehr heißer Tag, und ich sah, wie ihnen, als sie sich im Freilufthof versammelten, ein Schwarm Fliegen um die Köpfe schwirrte. Das machte mich schwermütig. Während des kurzen Schlafs in der vergangenen Nacht hatte ich von Fabricius geträumt. Er war in seinem kleinen Anatomiesaal an der Arbeit und an diesem Tag ungehalten und schwierig. Er sagte zu uns, seinen Studenten, daß wir – die wir selber so wenig wüßten – über sein Wissen herfallen würden wie Fliegen über einen Leichnam.
    Gegen zehn Uhr wurde der Körper der toten Frau auf den Tisch im Operationsraum des Margaret Fell gelegt. (Wie ich Euch schon erzählt habe, gibt es in allen drei Häusern ein solches Zimmer, doch in dem vom Whittlesea werden nur selten Operationen vorgenommen, da der Lärm, der aus den Boxen der Insassen kommt, zu sehr stört und ablenkt.) Ambrose, Pearce und ich, alle mit unseren Lederschürzen, schlitzten die zerlumpten Kleider auf und rissen sie weg; dann standen wir einen Augenblick still da und sahen auf den Körper, um äußere Wunden oder Flecken auf der Haut festzustellen.
    Die Frau war alt, älter als sechzig. Die Haut war fahl und faltig, und die Muskeln der Gliedmaßen und des Leibes machten einen verkümmerten und schlaffen Eindruck. Das Haar auf ihrem Schambein wuchs spärlich und weiß, und ein wenig von dem gleichen Haar sproß auf ihrem Kinn und auf den Aureolen ihrer

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