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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Französinnen. Einige scheinen mir sehr gewöhnlich zu sein, sie schreien herum in ihrer Sprache und zeigen ihre Beine.
    Ich und M. Cattlebury sollen hier angestellt bleiben, auch die Stallburschen und Mädchen, so Sir J. Babbacombe.
    Doch wir bekommen unser Geld nicht. Wir bekommen keinen Lohn vom Le Viscomte, Sir Robert, und ich habe an Sir J. Babbacombe geschrieben, um ihm das zu sagen.
    Die verehrte Lady Bathurst kam im Mai hierher und sagt zu mir: Oh, Mister Gates, was soll aus diesem Haus werden! Und wirklich, ich wußte nicht, was ich antworten sollte. Und sie weinte dann. Und ich, ein Mann aus Norfolk und so rückständig, was Würde angeht, mußte auch weinen. Aber das tut mir leid. So bleibt gesund, Sir, und Mister Pearce auch. Und wenn Ihr mir einmal einen Brief schreibt, dann werde ich glücklich sein.
    Weiterhin Euer Diener,    
    Wm. Gates«
     
    Nachdem ich den Brief gelesen hatte, faltete ich ihn zusammen und verstaute ihn in dem Seekoffer – in der Hoffnung, so nicht mehr an ihn zu denken, denn ich kann nicht leugnen,
daß er mich traurig stimmte. Pearce, der mich wegen eines kleinen Botengangs suchte, betrat zufällig in diesem Augenblick das Zimmer und merkte sofort (denn ich scheine nichts, was ich fühle, vor ihm verbergen zu können), daß wieder einmal etwas aus meiner Vergangenheit meine Gedanken beschäftigte, wo ich mich doch einzig und allein mit meiner großen Heilung durch Tanzen befassen sollte, die wir am nächsten Tag ausprobieren wollten. Er stand in der Tür, sah mich an und sagte, ohne nach dem Inhalt des Briefs zu fragen, mit seiner strengsten Stimme: »Ich nehme an, du weißt über den Act of Praemunire Bescheid, Robert?«
    »Nein«, erwiderte ich, »das tue ich nicht, John.«
    »Dann will ich dich darüber aufklären. Der Act of Praemunire erlaubt die Beschlagnahme – sofort und ohne Wiedergutmachung, bei Vorlage der Praemunire -Befugnis – von Grundbesitz und der gesamten Habe als Bestrafung für Nicht-Konformität. Hunderte von Quäkern haben durch diesen abscheulichen Erlaß ihr Haus und ihr Land verloren. Du kannst dir das Leid, das dadurch hervorgerufen worden ist, nicht vorstellen. Glaube also nicht, daß dein Fall ein Einzelfall ist, Robert. Er ist nur einer von vielen. Der König hat sich dir gegenüber wie gegenüber einem Quäker verhalten, das ist alles.«
    Bevor ich darauf antworten konnte, hatte sich Pearce umgedreht und mein Zimmer verlassen, wobei er einen schwachen Geruch seines Gegengifts zurückließ, mit dem er sich nach wie vor behandelt, da seine Erkältung und sein Katarrh auf überhaupt nichts anzusprechen scheinen, nicht einmal auf das heiße, trockene Sommerwetter.
     
    Als ich am nächsten Morgen aufwachte, vernahm ich ein seltsames Geräusch im Zimmer, das mir zwar bekannt vorkam, das ich aber nicht gleich deuten konnte.
    Ich lag da und lauschte. Ich wußte, daß es noch sehr früh am Tag sein mußte, denn das Licht am Fenster war grau. Und auf einmal wußte ich, was ich hörte. Ich sprang aus dem Bett, zog die Rupfengardinen zurück und sah, daß ich mich nicht getäuscht hatte: Es regnete in Strömen auf uns und alle unsere Vorbereitungen für das Tanzfest. Der Freilufthof, dessen Boden von der Sonne zu einer harten, gelben und trockenen Masse zusammengebacken worden war, hätte unsere Tanzfläche sein sollen. Jetzt verwandelte er sich schon wieder in einen schleimigen Schlamm.
     
    Die Betreuer (die gewöhnlich nicht so leicht aus der Fassung zu bringen sind) schienen traurig zu sein – jeder von ihnen, auch Pearce –, daß die Tanzerei ausfallen mußte. In dieser Traurigkeit warf ich eine Frage auf, die mich schon seit einiger Zeit beunruhigte: »Wenn wir schließlich einmal mit der Musik anfangen und die Insassen des George Fox und Margaret Fell herauskommen, was geschieht dann mit denen im William Harvey?«
    »Sie können nicht tanzen, Robert«, sagte Pearce.
    »Wir können sie nicht von den Ketten lassen«, sagte Edmund.
    »Aber sie werden die Musik hören«, sagte Ambrose. »Wir machen die Türen vom William Harvey auf, so daß die Töne zu ihnen dringen.«
    Ich hatte mich mit diesen Antworten zufriedenzugeben, doch wurde ich von einem so schrecklichen Mitleid mit den Männern und Frauen vom Whittlesea gequält, wie ich es
noch nie zuvor empfunden hatte, nicht einmal an jenem Tag, als ich sie zum ersten Mal in ihren Lumpen und auf ihrem Stroh sah. Ich mußte an meine Fahrt mit dem Schiffer nach Kew denken, wie ich, als wir an

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