Zeit der Sinnlichkeit
nach Pearces Tod hatte ich den starken Wunsch, allein zu sein.
Hätte ich mein Pferd noch gehabt, dann wäre ich zum Tor des Whittlesea hinaus nach Norden bis zu den Meerfenchelfeldern, den Dünen und dem Meer geritten. Was ich dann dort getan hätte, weiß ich nicht. Vielleicht hätte ich mich auf einen nach Teer riechenden Landungssteg gesetzt, in Richtung Holland geblickt und an den Krieg des Königs gedacht, dessen Kosten mein Haus und meine Ländereien tragen halfen. Vielleicht hätte ich mich auch einfach hingesetzt und wäre sitzen geblieben, bis mich ein Aufseher, der mich für einen der »müßigen Armen« hielt, in ein Armenhaus geschickt hätte.
Doch es war mir gar nicht möglich, ans Meer zu gelangen. Ich unternahm wohl einmal einen Versuch und lief auf der Straße in Richtung Earls Bride, doch der Anblick dieses traurigen Ortes ließ mich umkehren. Auf meinem Rückweg hatte ich einen Wachtraum von dem leeren Rundzimmer im Westturm von Bidnold. Es war in meinem Traum ein Ort des Lichts.
Ich ging zu meinem Wäscheschrank zurück und legte mich auf mein Bett. Die Stille im Haus beruhigte mich ein wenig. Doch dann mußte ich daran denken, was mir an Anschuldigungen und Klagen noch bevorstand, und ich bedeckte mein Gesicht mit den Händen. Wenn ich an Katharine dachte, fühlte ich mich an allen Gliedern kalt und traurig.
Sie stieß mich ab. Ich hatte nicht einmal mehr Mitleid mit ihr, denn ihr hatte ich es ja zu verdanken, daß ich nun aus dem Whittlesea verjagt und in eine Welt zurückgeschickt wurde, in der ich keinen Platz mehr hatte. Ich begann zu glauben, daß sie – genauso wie jene, die an einen Wahnsinn der Gewalttätigkeit verloren waren wie Piebald – tatsächlich vom Teufel besessen war und daß das Böse in ihr mich angesteckt hatte, so daß ich mich ihr gegenüber so niederträchtig benahm, wobei ich nicht mehr ich selbst, sondern ein vom Satan Besessener war. Durch Pearce, durch seinen Tod, hatte ich mich jetzt von meiner Verdorbenheit abgewandt. Er hatte mich gerettet. Jetzt hatte ich nur noch den einen Wunsch, mit meiner Erinnerung an ihn ganz allein zu sein; doch statt dessen erwarteten mich das Flehen von Katharine nach einer Art von Liebe und die Traurigkeit der Freunde über meinen Verrat an einer anderen.
Ich erhob mich von meinem Bett und ging hinaus in den sanften, geräuschlosen Regen. Ich ging zu Pearces Grab, stand dort still da und schaute auf die Buchstaben seines Namens, die in ein zierliches Kreuz aus Weidenholz gebrannt waren, das im Laufe der Jahre bestimmt krumm und gebeugt und blaß und so ihm immer ähnlicher werden würde. »John«, sagte ich, »ich glaube nicht, daß ich jemals Frieden finden werde.«
Einige Tage nach Pearces Beerdigung sagte ich am Schluß einer Zusammenkunft zu den Freunden, daß ich nun bereit sei, über meine Sünden zu reden, jedoch darum bäte, erst einmal mit Ambrose unter vier Augen sprechen zu dürfen. Das erregte einigen Widerstand, da Geheimnisse nach Ansicht der Betreuer voller Gift sind, »das jeder Gruppe oder
Gemeinschaft, wo man sie duldet, nur Krankheit oder sogar Tod bringen kann«. Doch sie hatten gesehen, wie sehr es mich getroffen hatte, von Pearce verlassen zu werden, und so kamen sie, aus Sorge wegen meiner Schwäche, meiner Bitte nach.
Da die Herbstabende jetzt kühl waren, brannte ein Feuer im Kamin der Wohnstube. Ambrose setzte sich davor, und ich kniete mich wie ein Büßer auf den Kaminvorleger und wärmte mir die Hände.
Obwohl ich mich nervös und elend fühlte, begann ich doch, mit fester Stimme zu ihm zu sprechen. Ich erzählte Ambrose, daß es in meiner Natur liege, unmäßig und lüstern zu sein, und daß ich schon als junger Mann meine Arbeit im St.-Thomas-Spital vernachlässigt hatte, um im Park Frauen aufzulesen und mit in mein Zimmer in Ludgate zu nehmen. »Auch daß ich die Gunst des Königs verlor, weswegen ich mich dann auf den Weg nach Whittlesea machte«, sagte ich, »ist auf Lust zurückzuführen. Obwohl ich versprochen hatte, meine Frau niemals anzurühren, fing ich an, sie so heftig und hartnäckig zu begehren, daß ich einfach versuchen mußte, sie zu berühren, wodurch ich mich selbst vollends lächerlich machte, ihr sehr viele Unannehmlichkeiten bereitete und im König furchtbare Wut entfachte. Du siehst also, Ambrose, daß meine Gier nach Frauen immer schon von großem Übel für mein Wohlergehen, ja sogar für meinen Verstand war. Es hat Zeiten gegeben, in denen ich im Bewußtsein dessen
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