Zeit der Sinnlichkeit
sogar beklagte, daß Frauen überhaupt geschaffen worden sind!«
Ich hielt inne. Ambrose nickte. Dieses Nicken erweckte in mir den Wunsch, ihn zu fragen, ob er auch schon einmal ähnliche Gedanken gehabt habe, doch ich unterließ es, da ich es für sehr unwahrscheinlich hielt, daß dieser unbeweg
liche Fels von einem Mann je die Qualen einer Versuchung dieser Art erlitten hatte.
»Als ich nach Whittlesea kam«, fuhr ich fort, »glaubte ich, daß ich all das, was ich in meinem früheren Leben gewesen war, nun nicht mehr sein würde. Ich dachte, daß das Whittlesea mich erneuern könnte.«
»Und hat es dich erneuert, Robert?«
»Nur einen Teil von mir. John hatte das verstanden, als er sagte, daß ich ›Fortschritte mache‹. Vielleicht wußte er auch – obgleich er nie darüber gesprochen hat –, daß Katharine mich in Versuchung führen und ich ihr zwar erst widerstehen würde, daß mein Widerstand aber schließlich ins Wanken geraten würde.«
»Wenn er das Wanken gesehen hätte, dann hätte er sich von dir verraten gefühlt, Robert.«
»Verraten?«
»Ja. Denn wir, die Betreuer vom Whittlesea, haben eine stillschweigende Vereinbarung, daß wir uns denen gegenüber, die wir beschützen, so verhalten wie Eltern gegenüber ihren Kindern. Und wenn ein Elternteil sich zu seinem eigenen Vergnügen und seiner eigenen Befriedigung irgendwie an seinem Kind vergreift, dann ist das ein Verrat, wie er schrecklicher nicht sein könnte.«
Ich seufzte. Ich mußte mir eingestehen, daß ich Katharine wirklich so gesehen und daß ich die Puppe für ein »Kind« gemacht hatte, und so erschien mir jetzt meine Zeit des Wahnsinns mit ihr niederträchtiger denn je und Ambroses Strenge mit mir vollkommen gerechtfertigt.
Ich hatte Katharine einige Tage nicht gesehen, da Ambrose mich gebeten hatte, mich dem Margaret Fell fernzuhalten. Er erzählte mir nun, daß bei Katharine der Schlaf – wegen
meines Verrats – nur noch durch Laudanumgaben herbeigeführt werden könne und daß sie bei Tag und bei Nacht meinen Namen wiederhole, nach mir frage, schreie und schluchze und sich unanständig berühre, so daß mein Name gleichbedeutend mit ihrem Wahnsinn geworden sei und die Frauen von Margaret Fell zu den Betreuern sagten, sie leide an dem »Robert-Wahnsinn, einem ganz schrecklichen Irresein«.
Diese Schilderung machte mir so große Angst, daß alle Kraft aus meiner Stimme entwich und ich den Wunsch hatte, mich zu Ambroses Füßen zu einem feigen Haufen zusammenzurollen (wobei ich einen flüchtigen Augenblick daran denken mußte, daß ich so einmal vor der königlichen Fußbank gelegen hatte) und von absoluter Stille und Dunkelheit zugedeckt zu werden. Ambrose, der sich meiner Furcht zweifellos bewußt war, streckte seine große Hand aus und legte sie mir auf die Schulter.
»Ich weiß«, sagte er, »daß dir das, was geschehen ist, leid tut. Wir lieben dich und verzeihen dir, Robert.«
»Danke, Ambrose.«
»Doch ich weiß auch, daß du es wiedergutmachen willst, und mir ist durch Gott der Gedanke gekommen, wie du es tun sollst.«
»Dir ist durch Gott der Gedanke gekommen? Stimmt das tatsächlich?«
»Ja.«
»Was hat Er gesagt? Was soll ich tun?«
»Du sollst Whittlesea verlassen.«
»Ich weiß. Ich wußte, daß ich das tun müßte.«
»Aber nicht allein. Du sollst Katharine mitnehmen.«
Ich sah zu Ambrose auf. Ich schluckte. Ich legte meine Fäuste zusammen und streckte sie in einer flehenden Geste von
mir. »Ambrose«, begann ich, »bitte verlange das nicht von mir …«
»Ich verlange es nicht. Gott befiehlt es.«
»Nein! Das würde er nicht …«
»Hat Er nicht gehört, wie du gesagt hast, daß du dich wieder nützlich fühlen würdest, wenn du nur einen von ihnen heilen und hier herausgehen sehen würdest?«
»Ja. Das habe ich gesagt –«
»Und Er hat es gehört. Und nun gibt Er dir die Möglichkeit, das zu erreichen, was du dir erhofft hast.«
»Katharine ist aber nicht geheilt …«
»Noch nicht. Aber das Mittel dafür ist gefunden worden. Du hast es gefunden, und nur du besitzt es. Das Mittel bist du selbst.«
»Nein, Ambrose!«
»Liebe ist das Mittel, Robert. Wenn du sie liebst, wird sie schlafen, und wenn sie wieder schlafen kann, ist sie nicht mehr wahnsinnig. Außerdem gehört sie nun ganz zu dir, weil sie ein Kind von dir erwartet.«
In jener Nacht schlief ich nicht.
Ich weiß nicht mehr, was mir alles durch den Kopf ging. Ich erinnere mich nur noch daran, daß ich eine so schreckliche
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