Zeit der Sinnlichkeit
wie ihr mich aufgenommen habt, und daß es nie in meiner Absicht lag, euch zu verraten, so daß ihr euch meiner schämen müßt …«
Dann trat Eleanor vor, um meine Hand zu nehmen, und als sie sagte: »Der Herr möge dich beschützen, Robert«, füllten sich ihre Augen mit Tränen, und sie blickte auf meine Hände, die sie in den ihren hielt, als wären sie etwas Wertvolles für sie.
»Weine nicht, Eleanor«, sagte ich. »Bitte weine mir nicht nach.«
Doch sie schüttelte den Kopf. »Wir alle werden dir von Zeit zu Zeit nachweinen, Robert«, sagte sie, »genauso, wie wir John nachweinen werden. Denn ihr seid beide für uns verloren.«
So verließ ich für immer die Wohnstube und das Haus, und die Betreuer standen eng nebeneinander an der Tür und sahen mir nach.
Ein Fuhrwerk war für uns gemietet worden. Ich warf mei
ne Mehlsäcke darauf, nahm Katharines Hand und half ihr hinauf und setzte mich dann neben sie. Ich sagte zu dem Fuhrmann, einem vierschrötigen Mann mit dem fetten Hintern einer Frau, dessen Haare zu einem schmierigen Knoten zusammengebunden waren, daß er sich beeilen solle. Ich wollte weg und nicht mehr zurückschauen. Doch das Pferd war so lahm, daß wir nur im Schrittempo vorankamen. So schaute ich dann doch zurück, als wir noch gar nicht weit weg waren, und sah alles noch einmal: das Eisentor mit der Inschrift aus Jesaja, durch das ich damals hineingegangen war; die drei großen Scheunen, welche die Betreuer nach Leuten benannt hatten, die ihnen heilig waren; das Haus, in dem mein Wäscheschrank war und vor dem die Freunde noch immer standen und mir nachsahen; und hinter den Mauern den Friedhof, wo Pearce für alle Ewigkeit liegen würde. An jenem Tag, an dem ich gekommen war, hatte ich mich für den unglücklichsten Menschen der Welt gehalten.
Jetzt wußte ich, daß mein damaliges Unglücklichsein nichts im Vergleich zu meinem jetzigen Kummer war, so daß alle meine Erinnerungen an meine Zeit in Whittlesea in ein tröstliches Licht getaucht zu sein schienen, als gehörten sie, ebenso wie meine Zeit auf Bidnold, zum Tage und als bräche jetzt die Nacht über mir herein.
Die wirkliche Nacht brach über uns herein, als wir in March einfuhren. Ich bezahlte den Mann, da ich den Anblick seines fetten Hinterteils nicht noch einen weiteren Tag ertragen hätte. Er setzte uns an einer Schenke namens »The Shin of Beef« ab, und wir bekamen ein Zimmer, das nach Äpfeln roch, da eine größere Menge von ihnen dort auf feuchten Horden lagerte.
Ich wußte, daß wir in einem schlecht geführten und vernachlässigten Haus waren, doch Katharine, die der Welt so lange fern gewesen war, hielt es für großartig. Sie glaubte, die Äpfel wären für uns zum Essen hingelegt worden (sie hatten für uns kein Abendessen, nicht einmal die schlichte Scheibe Rinderbein, nach der die schäbige Schenke benannt war), und so aß sie gierig einen Apfel nach dem anderen, bis sie sich ins Bett erbrach. In der Kälte um ein Uhr nachts kam ein Mädchen, das nicht älter als zwölf oder dreizehn war, und tauschte die besudelten Bettücher gegen saubere, jedoch noch feuchte aus. In diesem klammen Bett klammerte sich Katharine an mich und küßte mich, und einige der Teufel, die noch in ihr waren, kamen mit ihrem Speichel in mein Blut, so daß ich sie schließlich nahm, wenn auch mit geschlossenen Augen, so daß ich weder mich selbst noch sie sehen konnte, meine Hände über ihrem Gesicht. Ihre Brüste gegen meinen Rücken gepreßt, schlief sie ein. Doch ich konnte nicht schlafen, wegen der Kälte und wegen des Geruchs und weil mir mein Elend das Herz abschnürte.
Wir mußten in March zwei Tage auf eine Postkutsche warten, die uns nach Cambridge und dann weiter nach London bringen würde.
Am ersten dieser beiden Tage, einem Dienstag, setzten in der Morgendämmerung vor unserem Fenster die Vorbereitungen für einen Markt ein, und so ging ich mit Katharine hinaus und lief mit ihr zwischen den Ständen umher, wo Honig, Obst, Kerzen, Wollstränge und Bienenwachs verkauft wurden. Wir trafen auf einen Mann, der für drei Pence das Schreien oder Knurren oder Kreischen eines jeden gewünschten Tieres oder Vogels nachahmte. Dieser Mann zog Katha
rine so in seinen Bann und entzückte sie dermaßen, daß ich gezwungen war, ihm für eine Tierstimmenimitation nach der anderen Geld zu bezahlen. Doch nach einer Weile fand ich es albern, in einer gaffenden Menge zu stehen und einem Mann zuzuhören, der vorgab, ein Huhn, ein Schwein,
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