Zeit der Sinnlichkeit
ein Auerhahn oder ein neugeborenes Lamm zu sein. Nach fast einer Viertelstunde sagte ich zu Katharine: »Wir haben jetzt genug gehört. Laß uns weitergehen, bevor er noch alle Tiere Afrikas nachmacht.« Doch sie bat mich, wenigstens noch eines hören zu dürfen, und sagte: »Robert, du hast noch kein Tier oder einen Vogel ausgesucht, du bist jetzt an der Reihe.« Ich nahm also noch einmal drei Pennies aus meinem Portemonnaie, und der Mann hielt mir seine lederne Handfläche hin und fragte: »Was soll es denn sein, Sir? Ein schreiender Pfau? Ein heulender Wolf? Oder – zwei zum Preis von einem – eine alte Sau und ihre saugenden Ferkel?«
»Die Schweine«, sagte Katharine, »sag ihm, er soll die Schweine machen.«
»Nein«, sagte ich, »nicht die Schweine. Eine Amsel.«
»Eine Amsel, Sir?«
»Ja.«
»Nun gut, dann brauchen wir Stille ringsum, ihr guten Leute müßt ganz leise sein. Denn der Gesang einer Amsel ist etwas Leises, ich kann ihn nicht laut vormachen.«
Er konnte die Menschentraube um ihn herum dazu bringen, mit ihrem Geschnatter aufzuhören. Dann legte er beide Hände gewölbt vor seinen Mund; zwischen seinen Fingern konnte ich seinen Mund sehen, den er häßlich verzog. Ich schloß die Augen und wartete. Und da war der Klang, vollkommen und rein, und ich wußte sogleich, daß mir jetzt Tränen in die Augen treten würden, und so nahm ich schnell
mein Taschentuch heraus und putzte mir geräuschvoll die Nase, wodurch ich die Amselimitation so unsanft störte, daß die kleine Menschenansammlung in Gelächter ausbrach. Ich nickte dem Mann, der mich böse ansah, noch zu, packte Katharine am Handgelenk und führte sie weg.
Da man in March nichts weiter unternehmen konnte, mietete ich am Nachmittag ein Ruderboot. Es war ein so warmer Tag, daß man meinen konnte, der Sommer wäre noch einmal zurückgekehrt, und ich ruderte den Fluß hinunter in Richtung Benwick. »Dieses Dorf ist zu unbedeutend, als daß es Vogelstimmenimitatoren anziehen würde«, sagte ich lächelnd. Doch Katharine hörte mir nicht zu. Sie hatte eine Hand ins Wasser getaucht und schien vom Anblick des Treibgutes aus Blättern und Gräsern, das durch ihre Finger schwamm, hypnotisiert zu sein. Ihr Mund stand offen, und sie schien nicht zu merken, daß ihr langes Haar im Wasser dahinschleifte. Dann tauchte sie plötzlich aus ihrer Trance auf und lachte, und ihr Lachen, das ich im Whittlesea nur selten gehört hatte, klang wie das eines Kindes. Doch anstatt ihrer Kindlichkeit gegenüber Freundlichkeit oder Mitleid zu empfinden, fühlte ich nur Überdruß mit der Zeit, die mit Katharine als meiner einzigen Begleitung so langsam zu vergehen schien, daß ich mir kaum vorstellen konnte, daß die Sonne des Tages je versinken oder die Dunkelheit der Nacht je zu Ende gehen würde. Ich versuchte mich mit dem Gedanken zu trösten, daß ich, wenn die Zeit sich verlangsamt hatte, erst alt sein würde, wenn ich eigentlich schon längst darüber hinaus war. Doch diese kleine Gedankenspielerei gab mir nur für einen kurzen Augenblick Trost, denn ich wußte, daß es mir nichts mehr ausmachte, alt zu werden, ja, daß es mir sogar ziemlich gleichgültig war, ob ich noch lebte oder stürbe.
Als ich mich an diesem Abend im Apfelzimmer aufs Bett legte, weil meine Schultern und mein Rücken vom Rudern am Nachmittag schmerzten, kam Katharine zu mir, stellte sich vor mich hin, hob ihren Rock hoch und sagte, ich solle meine Hand auf ihren Bauch legen; sie beklagte sich gereizt darüber, daß ich das noch nie getan habe oder habe tun wollen, daß ich also das Kind in ihr nicht liebte.
Ich wandte den Kopf, sah auf ihren Bauch und sagte, daß ich es sehr schwierig fände, etwas zu lieben, das noch gar nicht da war. Sie verstand jedoch nicht, was ich damit meinte, und ich hatte keine Lust, es ihr zu erklären, also besänftigte ich sie, indem ich ihren Bauch streichelte, und sie fing an, mir zu erzählen, was sie alles für unseren Sohn tun wolle, wenn er geboren sei, daß sie niemandem außer mir je erlauben würde, ihn ihr wegzunehmen, denn jetzt fürchtete sie den Neid unfruchtbarer Frauen, die, während sie schlief, kommen und ihren Säugling stehlen könnten, »um mich mit dem Nichts zurückzulassen, das ich vorher hatte«. Um sie zu trösten, sagte ich – als erzählte ich Meg Storey eine meiner Geschichten aus dem Lande des River Mar –, daß wir eine Festung rund um den Knaben bauen und ihn in einen hohen Turm stecken würden; niemand außer uns
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