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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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kam, und zu meinen Füßen das Schlagen des Wassers gegen das Flußufer und die Treppe.
    Der Nebel stieg auf. Als die Sonne über den Hausdächern aufging, erhob er sich vom Wasser und löste sich auf.
    Und auf einmal wußte ich, was ich gleich sehen würde …
    Er drehte mir den Rücken zu. Er ruderte flußaufwärts, und als die Sonne jetzt auf den Fluß fiel, verfing sie sich glitzernd in seinem juwelenbesetzten Ärmel.
    Sein Skiff war nun auf gleicher Höhe mit der Treppe. Er war mir so nah, daß ich seinen Atem hören konnte. Ich legte mir eine Hand gespreizt vors Gesicht, weil er mich nicht erkennen sollte. Es wäre jedoch nicht nötig gewesen, da er nicht in meine Richtung sah, sondern nur auf seinen Weg auf dem Wasser und auf das Sonnenlicht, das den Fluß zum Gleißen brachte.
    Er war schon an mir vorbei, und ich konnte meine Augen noch immer nicht von ihm wenden. Ich beobachtete ihn durch meine Finger, bis er hinter der Biegung des Flusses verschwunden war.

Die Frau des Kurzwarenhändlers
    W ie ich schon gesagt habe, war mein Leben vor diesem Junimorgen gerade eine normale, arbeitsreiche und ruhige Angelegenheit geworden, und ich hatte darin meinen Frieden gefunden. Wäre es mir in dieser Zeit möglich gewesen, mit Pearce angeln zu gehen, anstatt mich seinem Schweigen gegenüberzusehen, dann hätte ich mich sicher wie ein richtiger Angler benommen und nicht die Forelle vertrieben.
    Doch von dem Augenblick an, da ich auf dem Fluß den König zu Gesicht bekommen hatte, ergriff mein alter törichter Wunsch, ihn zu sehen und in seiner Gunst zu stehen, wieder so vollkommen von mir Besitz, daß nichts mehr mir Frieden bringen konnte. Mit meinen Patienten war ich jetzt kurz angebunden, bei den Mahlzeiten schweigsam und verdrießlich. Die Freuden des Dienstags waren nicht mehr das, was sie gewesen waren. Und anstatt ins Kaffeehaus oder in die Taverne zu gehen, um etwas zu trinken und mich zu unterhalten, unternahm ich einsame Spaziergänge zum Fluß, um mich dorthin zu setzen, wo ich an jenem Morgen gesessen hatte, suchte das Wasser mit den Augen nach dem kleinen Boot ab und entwarf in Gedanken unzählige Versionen eines Briefes, in dem ich dem König von meiner Nützlichkeit berichtete.
    Mit fortschreitendem Sommer änderte sich der Inhalt dieses Briefes. Ich erwähnte jetzt nicht mehr nur meinen eigenen Eifer, sondern hatte mir noch einen Trick ausgedacht, um die Aufmerksamkeit des Königs zu erregen: Ich wollte in meinem Brief vorbringen, daß ich durchaus Verständnis
hätte, wenn Seine Majestät es nun, da ich nur noch Arzt war und wenig Geld und keinen Besitz hatte, nicht mehr für angemessen hielte, daß ich, wenn auch nur dem Titel nach, Celias Ehemann bliebe. In diesem Fall würde ich mich, falls er dies beschlösse, der Aufhebung der Ehe nicht widersetzen, da ich der Meinung sei, daß Celia das Recht habe, mit einem ehrenwerteren Mann verheiratet zu sein, als ich es je sein könnte …
    Ich schickte diesen Brief nicht ab. Ich verfaßte ihn in Gedanken vierzehn- oder fünfzehnmal neu, und eines Abends, als Finn mit Frances Elizabeth am Kamin in der Wohnstube Karten spielte, setzte ich mich ins Schreibzimmer und schrieb eine sehr elegant formulierte Version davon nieder, in der ich besonders meine Rückkehr zur Medizin sowie meine tägliche Benutzung des Geschenks des Königs, der chirurgischen Instrumente, herausstrich und mein großes Bedauern über mein gemeines Betragen Celia gegenüber ausdrückte, »einer so reizenden und unschuldigen Frau, die von mir wirklich eine bessere Behandlung verdient hätte und für deren Glück ich täglich bete«.
    Ich faltete den Brief zusammen (nachdem ich ihn so viele Male gelesen hatte, daß ich ihn bereits auswendig kannte), versiegelte ihn aber nicht und versah ihn auch nicht mit dem Namen des Königs. Dann ging ich in mein Zimmer hinauf, holte Pearces ramponiertes Exemplar des De Generatione Animalium aus dem Bücherregal, legte den Brief hinein und stellte das Buch wieder zurück.
    Ich sagte zu mir: Du hast ihn jetzt geschrieben, Merivel, nun laß deine Gedanken wieder ruhig werden, so daß du dorthin zurückkehren kannst, wo du warst, und wieder mit dem zufrieden bist, was du hattest. Ich versuchte auch wirklich,
das zu erreichen. Aber es gelang mir nicht richtig. Die Sehnsucht, den König zu sehen, war so tief und unbezwinglich wie die Sehnsucht eines Liebenden.
     
    Gegen Ende Juli ging ich eines Abends in Finns Studio (so wurde das Schreibzimmer jetzt

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