Zeit der Sinnlichkeit
Merivel. Ich hatte es auch nicht anders erwartet.«
Ich nicke nur, da ich nicht weiß, welcher Kommentar zu
dieser Bemerkung von mir erwartet wird. Der König legt seine juwelenberingten Hände in eine Fingerschale, spült sie darin, trocknet sie dann mit seiner Serviette ab und fährt fort: »Jetzt könnt Ihr also mich etwas lehren, anstatt mein Schüler zu sein: Ihr könnt mich über den Wahnsinn unterrichten.«
Ich höre mich seufzen. »Sir«, sage ich, »es gibt so viele Arten von Geistesgestörtheit und Verrücktheit – Liebe ist vielleicht die süßeste, aber auch die schrecklichste davon –, daß ich nicht weiß, wo ich anfangen soll. An einem Abend dort in den Fenlands, die weitab von der Welt sind, in der wir hier leben, fühlte ich mich aber doch gedrängt – durch den Duft von ein paar Blumen, wie mir schien! –, meine Gedanken über die einzelnen Stadien des Wahnsinns auszusprechen. Darüber könnte ich Euch erzählen, wenn Ihr wollt, denn ich fand es sehr merkwürdig, daß man meinen Überlegungen nie Beachtung geschenkt und sich nie dazu geäußert hat, so daß es mir ganz so vorkam, als hätten sie meine Zuhörer gar nicht gehört oder nicht hören können. Darum frage ich mich nun, ob ich vielleicht in meinem ganzen Leben außer Euch niemanden treffen werde, der sie hören oder verstehen kann. «
»Höchstwahrscheinlich. Also erzählt!«
Ich fange an zu erzählen. Ich erläutere dem König nicht nur meine These von den verschlungenen Pfaden zum Wahnsinn und dem großen Widerwillen der Welt gegenüber Nachforschungen, warum dieser oder jener eingeschlagen worden ist, sondern breite vor ihm auch alles aus, was ich über meine eigene Torheit gelernt habe und was ich getan habe, um mich davon zu kurieren. Kurzum, ich seziere mein Herz. Ich greife in mich hinein, nehme es heraus und lege es vor ihn hin. Er hört die ganze Zeit zu, manchmal ernst, manchmal lächelnd,
so, als sei die Geschichte, die ich ihm erzähle – obwohl er »alles sieht und alles versteht« –, für ihn doch neu und voller Ungewöhnlichem, wovon man ihm noch nie berichtet hat, weder in dem Uhrenzimmer noch sonstwo in seinem Königreich.
Es wird langsam dunkel, und Chiffinch bringt brennende Lampen und stellt sie um uns herum auf.
Wir essen Weintrauben und spucken die Kerne in einen silbernen Spucknapf.
Schließlich kommt der König auf das Thema »Celia« zu sprechen, das mit einem anderen eng verknüpft ist, nämlich dem seiner neuen Liebe, Mrs. Stewart, und er flüstert mir zu: »Ich bin wahnsinnig verrückt nach ihr, Merivel. Stünde ich mit ihr auf einer gewissen Brüstung, um ihr den Planeten Jupiter zu zeigen, dann würde ich dem ganzen Sternenhimmel den Rücken zukehren, nur um ihre Brüste in meine Hände zu nehmen.«
Wir brechen beide in Lachen aus, das sich schnell in jene Art Gekicher verwandelt, dem wir einstmals an Frühlingsnachmittagen auf dem Krocketrasen von Whitehall frönten. Der Celia-Frage wird also keinerlei Ernst beigemessen, als wäre Celia nur ein Spielzeug, das wir uns früher einmal zugeworfen haben, dessen wir aber längst überdrüssig sind.
»Ich muß allerdings betonen«, sagt der König schließlich, »daß Eure Idee, die Ehe aufzuheben, vielleicht ganz nützlich ist, denn dann könnte ich Celia für den Verlust meiner Person entschädigen, indem ich ihr einen neuen Mann gebe: diesmal einen jungen und hübschen! Was meint Ihr? Wird sie das trösten? Was haltet Ihr von Lord Greville d'Arblays Sohn, der ja ein gutaussehender Junge ist?«
Ich erwidere, daß ich – der ich Celia so wenig kenne – keine Vermutungen darüber anstellen kann, wer oder was sie
entschädigen könnte, doch der König, plötzlich ernst geworden, schüttelt den Kopf und sagt ruhig: »So ist das nicht. Wir wissen beide, daß es nichts auf dieser Welt gibt, was ihr ersetzen kann, was sie verloren hat.«
»Ja, das wissen wir«, antworte ich. »Doch es ist ein unbequemes Wissen.«
»Eben. Wohin verbannen wir es also?«
»Ich weiß es nicht, Sir.«
»Doch, Ihr wißt es.«
»Wohin also?«
»Ins Vergessen, natürlich.«
Daraufhin wechseln wir das Thema, und die wichtige Angelegenheit meiner Frau, der Mätresse des Königs, scheint ganz und gar aus meinem Leben zu verschwinden, so daß meine Erinnerung an Celias Gesicht und ihren Gesang verblaßt und in der Stille untergeht. Ich fühle, wie ein tiefer Frieden über mich kommt, ein Frieden, wie ich ihn seit meiner Kindheit, als ich in der Stille von Amos
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