Zeit der Sinnlichkeit
sah mich scharf an. Sie war sowieso schon etwas eifersüchtig auf meine junge Frau und hatte mich auf eine Ausgabe von Thomas a Kempis schwören lassen, daß ich Celia in körperlicher Hinsicht nicht kannte. Es war offensichtlich, daß sie der Gedanke, ich könnte Ausschweifungen anheimfallen, sehr beunruhigte.
»Mach dir keine Sorgen, Merivel«, sagte sie, wobei sie, auf ihren weißen Ellbogen gestützt, mit einem ihrer eleganten Finger die Nachtfalter auf meinem Leib streichelte. »Ich werde mich um Malstunden für dich kümmern. Ich kenne einen talentierten jungen Mann, dem sehr viel daran liegt, Edelleute kennenzulernen, und der geradezu erpicht darauf ist, jemandem einen Gefallen zu tun. Ich hatte bei ihm ein Portrait von Bathurst in Auftrag gegeben, und das Bild ist einfach bewundernswert, wenn man bedenkt, daß Bathurst keine Sekunde stillsitzen kann. Sein Name ist Elias Finn; ein Puritaner, möchte man meinen, aber ihm sind Aufstieg und Erfolg so wichtig, daß er seine Fahne nach dem Wind hängt. Natürlich will er unbedingt zum Hof, und vielleicht, wenn er sich als ein guter Lehrmeister erweist, kannst du ihm ja auch den Weg dorthin ebnen?«
»Du vergißt, Violet«, sagte ich unglücklich, »daß ich jetzt seit drei Monaten nichts mehr vom König gehört habe.«
»Wirklich? Dann solltest du vielleicht einmal nach London reisen?«
»Ich habe keine Stellung mehr am Hofe.«
»Aber Seine Majestät wäre doch sicher überglücklich, dich zu sehen?«
»Da bin ich mir nicht so sicher.«
»Er pflegte dich zu küssen, Merivel!«
Ich lächelte. »Wir beide, Violet, du und ich, wissen doch«, sagte ich, »daß Küsse vergehen wie die Birnenblüte.«
Ich würde sagen, daß Elias Finns Eintritt in mein Leben von einer gewissen Bedeutung war.
Er nennt sich Portraitist, führt aber, wie ich bald merkte, fast das Leben eines Bettlers, denn er wandert in den englischen Grafschaften von einem großen Haus zum andern und bittet die Bewohner, sie malen zu dürfen. Er ist jung, hat aber ein ausgemergeltes, graues Gesicht, und seine Handgelenke sind so dünn wie die Arme eines Tintenfisches. Er hat einen unsteten und unsicheren Blick, doch seine Lippen sind hübsch geschwungen und feminin und zeugen von einer gewissen Empfindsamkeit. Seine Stimme ist honigsüß und höflich. Er ist voller Widersprüchlichkeiten. Bei unserer ersten Begegnung wußte ich überhaupt nicht, was ich von ihm halten sollte.
Ich führte ihn in mein Studio und zeigte ihm meinen Schinken-und-Ei-Mann und mein unvollendetes Portrait von Meg Storey. Er sah erschreckt auf die Bilder, als jagten sie ihm Angst ein, was sie vermutlich wirklich taten, denn sie haben so überhaupt nichts Bewundernswürdiges an sich.
»Warum wollt Ihr malen, Sir?« fragte er nach einer Weile.
»Nun …«, begann ich, »sozusagen, um zu vergessen. Ich
habe Anatomie und Krankheiten studiert, aber aus persönlichen Gründen möchte ich meine ärztliche Arbeit nicht fortsetzen.«
»Ihr möchtet also lieber ein Künstler sein?«
»Ja.«
»Warum, wenn ich mir die Frage gestatten darf?«
»Weil … weil ich etwas tun muß! Ich habe eine sehr unmäßige Natur, Mr. Finn. Seht mich an! Seht mein Haus an! Seit der Wiedereinsetzung des Königs befinde ich mich in einem Zustand der Erregung und des inneren Aufruhrs! Die Neuzeit hat begonnen, und ich bin ganz ihr Mann, aber ich muß eine Aufgabe finden, damit ich nicht dem Müßiggang und der Verzweiflung anheimfalle. So helft mir bitte!«
Er wandte sich wieder meinen Bildern zu. »Nach diesen hier zu urteilen«, sagte er, »zeichnet Ihr einigermaßen gut, habt aber kein Gefühl für Farbe.«
Kein Gefühl für Farbe! Ich war sprachlos. »Farbe«, fing ich an, »begeistert mich mehr als alles andere auf dieser Welt. Ich habe in Purpur und Gold geheiratet! Bei der Krönung des Königs fiel ich beim Anblick seiner blutroten Barke fast in Ohnmacht …« Doch dann hielt ich inne. »Ihr habt natürlich recht«, sagte ich. »Ich liebe Farben sehr, aber das allein reicht noch nicht aus. Was mir ganz und gar fehlt, ist die Fähigkeit, diese Liebe in Kunst zu verwandeln.«
Wir fingen auf der Stelle mit den Malstunden an. Finn hatte einige seiner Arbeiten mitgebracht, meist Portraits von eleganten Frauen, die, wie ich annehme, keinen Gefallen gefunden hatten, da sie ja sonst nicht mehr in seinem Besitz wären. Ich fand sie ganz vortrefflich. »Wenn es mir einmal gelingt, auch nur ein Bild zu malen, das an eines dieser herankommt«,
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