Zeit der Sinnlichkeit
ihr Wesen und Sein enthüllte.
Ich legte den Pinsel aus der Hand. Dann hob ich Megs Schal auf, legte ihn ihr um und sagte traurig, daß ich sie jetzt bezahle und bitte, später einmal wiederzukommen, wenn ich ein paar Kunststunden genommen hätte.
Ich hätte mich vielleicht nach dieser ersten schmachvollen Niederlage auf dem Gebiet meiner Wahl einem Anfall von Traurigkeit ergeben, wäre da nicht die freundliche Anteilnahme meiner Nachbarin Lady Bathurst gewesen.
Ich will Euch die Bathursts beschreiben.
Bathurst ist Jäger. Er ist siebzig Jahre alt und hat sein Gedächtnis mit achtundsechzig verloren, als ihn sein Pferd ins Feld warf und aufs Ohr trat, aus dem dann sein Verstand entwich. Er trägt alte grüne Sachen, die selten gereinigt werden und denen daher der Gestank von Sattelseife, Tabak und Pudding anhängt. Er hat jede Erinnerung an den Namen seiner Frau, der Violet ist, verloren, und man hat ihn beim Abendessen fragen hören: »Wer ist diese Frau? Kenne ich sie?« Aber wenn Ihr nun glaubt, daß er ans Bett oder auch nur an sein Zimmer gefesselt sei, dann irrt Ihr Euch. Jeden Morgen wird er auf sein Pferd gehoben und wütet dann mit seinen Windhunden und Terriern durch seine Felder und Wälder, wobei er Hasen, Füchse, Dachse und selbst Hirsche zu Tode jagt. An den Wänden seiner großen Eingangshalle hängen Jagdpeitschen, Felle von Füchsen, Dachsen und Mardern sowie Köpfe von Rehen und Hirschen. Der Boden ist mit Markknochen für seine Hunde übersät, die dort gehalten werden und ihre Geschäfte überall auf dem Parkett verrichten.
Ich habe Bathurst recht gern. Sein Bordeaux ist vorzüglich, und seine Tischmanieren sind noch schlechter als meine. Er redet lauter Blödsinn, wenn auch mit großer Leidenschaft, und gibt diesem noch besonderes Gewicht durch sein ständiges Furzen und Auf-den-Tisch-Hauen. Wenn ihn auch sein Gedächtnis verlassen hat, so doch nicht seine Seele. Seine Freunde, erzählt er mir, haben ihm den Rücken gekehrt; er weiß zwar nicht, wer sie waren und warum sie weg sind, aber er empfindet dort, wo einst Gespräche und Lachen waren, eine Leere, eine Lücke, und scheint sich zu freuen, daß nun ich da bin, um sie ein wenig zu füllen. Merkwürdigerweise scheint er sich immer an meinen Namen zu erinnern,
oder vielmehr an seine eigene anglisierte Version davon: Merryvale. »Willkommen, Merryvale!« donnert er über das Kläffen und Bellen seiner Hunde hinweg. »Willkommen und guten Mutes, und der Teufel soll die Trödler und Nachzügler holen!«
Würde ich, wie Pearce, zu Frömmigkeit und Schuldgefühlen neigen, so wäre es mir vielleicht ein wenig unbehaglich zumute angesichts der Tatsache, daß ich Bathurst hintergehe, obwohl ich doch so an ihm hänge. Denn ich habe, das will ich jetzt nicht länger verschweigen, eine höchst erfreuliche affaire de coeur mit seiner Frau, meiner Lady Bathurst, oder Violet, wie ich sie in der Intimität des Schlafzimmers nenne.
Violet ist ungefähr dreißig Jahre jünger als ihr Mann und eine sehr hübsche Person, geistreich und elegant. Kurze Zeit nachdem ich mich im Landsitz Bidnold niedergelassen hatte, stattete sie mir einen Besuch ab und erzählte mir bereits bei diesem allerersten Treffen von dem bedauernswerten Geisteszustand Bathursts, wobei sie besonders seine Vergeßlichkeit im Hinblick auf ihre eigene Existenz betonte, so daß sie mich schon da auf den Gedanken brachte, daß es zwischen uns etwas geben könnte. Denn ein Mann, der vergessen hat, daß er eine Frau hat, wird sich wohl nicht allzusehr darum kümmern, in welchem Bett sie sich mit wem aufhält. Wenn unsere Liebschaft auch nicht von der zerfleischenden, gierig zupackenden Art ist, so ist sie doch zufriedenstellend leidenschaftlich, und wir sind recht häufig zusammen, da Violet in einem Alter ist, in dem sie sieht, daß ihre Schönheit langsam dahinschwindet, und so das Eisen schmieden will, solange es noch heiß ist, wenn auch nicht mehr ganz so heiß wie in ihrer Jugend, in der sie nach ihrer eigenen Darstellung eine Menge Eisen geschmiedet hat.
Und so war es Violet Bathurst, der ich, als sie unter dem silbertürkisfarbenen Baldachin meines Bettes in meinen Armen lag, meinen Kummer über mein Scheitern in der Kunst anvertraute. »Ohne sie«, sagte ich, »und allem Anschein nach auch vom König aufgegeben, bin ich ein Mann ohne Ziel im Leben, und ich befürchte sehr stark, daß ich mich in der Trunksucht und allen möglichen anderen Exzessen verlieren werde.«
Violet
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