Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
Vom Netzwerk:
Gates.
    »Es hat keinen Sinn«, sagte ich zu Will. »Ich traue meinem eigenen Wissen nicht. Wo kann ich zu dieser Stunde Doktor Murdoch finden?«
    »Doktor Murdoch ist ein Kurpfuscher, Sir, ein richtiggehender Quacksalber.«
    »Das macht nichts. Er ist unsere letzte Hoffnung. Wo wird er sein?«
    »Da gibt es nur eine Möglichkeit, eine einzige.«
    »Ja?«
    »Im ›Rushcutter‹, Sir!«
    Warum habe ich nicht Will zu dem Gasthaus geschickt?
Ich habe ihn nicht geschickt, weil ich dachte, daß ein schneller Ritt auf Danseuse durch den frischen Novemberabend die Angst und Sorge, die mich ergriffen hatte, ein wenig vertreiben würde. Ich rief meinem Stallburschen zu, er solle mein Pferd satteln, trug Minette in mein Schlafzimmer, wo ich sie aufs Bett legte, und wies Will bei Androhung sofortiger Entlassung an, nicht von ihrer Seite zu weichen.
    »Was soll ich tun, Sir, wenn sie wieder Schüttelkrämpfe bekommt, Sir?«
    »Halte sie«, sagte ich, »versuche, sie festzuhalten.«
    Ich bestieg Danseuse, und weg waren wir durch den Park, wo wir das Wild auf unserem Weg aufscheuchten. Ich trieb die Stute zu einem schnellen Galopp an, und als ich meine Lunge einige Male mit der klaren Luft vollgepumpt hatte, fühlte ich, wie das Entsetzen ein wenig von mir wich.
    Als ich Danseuse am Pfosten vor dem »Jovial Rushcutter« anband, war ich ordentlich ins Schwitzen geraten, und mein Gesicht brannte. Schnaubend wie ein Walroß ging ich hinein. In der Gaststube blickte ich mich nach Doktor Murdoch um, der mit seinen hängenden Schultern und großen, feuchten Händen kaum zu übersehen sein würde, doch ich konnte ihn nicht entdecken. »Doktor Murdoch?« fragte ich einen der Bauern mit Nagelstiefeln, der tief ins Glas blickte. »War er heute abend hier? Weiß jemand, wo er sein könnte?«
    Durch die übelriechende Menge von Schweinehirten, Wildhütern und Geflügelzüchtern kam Meg Storey auf mich zu. In dem schwachen Kerzenlicht der Taverne sah ihr Haar feuerrot aus. Das Kleid und die Schürze, die sie trug, waren fliederfarben. Sie machte vor mir einen frechen Knicks, dann nahm sie mich bei der Hand und führte mich, ohne ein Wort zu sagen, in die kühle, dunkle Vorratskammer, in der die Bier
fässer lagerten. Dort legte sie die Arme um mich und küßte mich sanft auf den Mund. »Damit will ich Euch sagen«, meinte sie, wobei mich ihr säuerlicher Bieratem streifte, »daß es mir leid tut, was aus Eurem neuen Beruf geworden ist.«
    Ich brach in Lachen aus und fühlte meinen Körper und Verstand in der Hitze dahinschmelzen. Ich nahm Meg Storey in die Arme. »Die Natur …«, murmelte ich zwischen Küssen und Liebkosungen. »Lassen wir der Natur bei Minette und bei mir ihren Lauf …« Von einem Augenblick zum andern überließ ich meinen armen Hund seinem Schicksal und wälzte mich mit Meg auf dem erdigen Fußboden.
    Eine Stunde später kam Doktor Murdoch in die Taverne, doch ich war durch mein Liebesabenteuer mit Meg Storey noch so verwirrt und erregt, daß ich ihn dort gar nicht mehr erwartete, sondern die verbleibende Nacht auf der Suche nach ihm ziellos in der Gegend umherritt, bis Danseuse nicht mehr galoppieren konnte und wir müde nach Hause zurückkehrten.
    Will Gates schlief auf dem Boden meines Schlafzimmers. Auf meinem Bett, unter einem gestreiften Tuch, in dem ich eine der großen Servietten erkannte, die mir der König geschenkt hatte, lag Minettes toter Körper.
    Ich kniete nieder und versuchte, an ein Gebet zu denken, mußte jedoch feststellen, daß ich nicht nur mein dürftiges Wissen über Krankheiten der Vergessenheit anheimgegeben hatte, sondern auch alle alten Gottesworte.

Eine indische Nachtigall
    A m Morgen nach Minettes Tod erschien Finn, um mir eine Malstunde zu erteilen. Müde zog ich meinen Kittel und den Schlapphut an. Ein kühler Regen, der jetzt gegen die Scheiben des Studiofensters peitschte, hatte Finns ziemlich abgetragene Kleider durchnäßt, so daß er wie ein Habenichts aussah. Kurzum, wir waren ein jämmerliches Paar. Es kam mir in den Sinn, daß die Melancholie wohl häufig der Antrieb zu kreativem Schaffen sein mochte, daß für die Ausführung aber das entgegengesetzte Element, das cholerische Feuer, notwendig war, und ich fühlte an diesem Morgen nicht einmal eine kleine Flamme davon in mir.
    »Geht nach Hause«, sagte ich zu Finn, unklugerweise, wie sich gleich herausstellte, denn Finn hatte zu dieser Zeit kein Zuhause, sondern die Nacht in einem von Lord Bathursts Kuhställen verbracht. Und

Weitere Kostenlose Bücher