Zeit der Sinnlichkeit
der arme Künstler fühlte sich so naß und kläglich, daß er sich erkühnte – nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal –, bei mir sein Lieblingsthema anzuschneiden, nämlich das meines Einflusses beim König und meiner Möglichkeiten, bei Hofe für ihn eine Stellung zu erlangen – und sei es auch eine noch so kleine, zum Beispiel als Freskoassistent oder Spielkartenzeichner.
Nun hatte mich der Verlust Minettes nicht nur traurig gestimmt, sondern auch Angst in mir ausgelöst. Mein vorsätzliches Vergessen hatte ihren Tod verursacht; und König Charles wiederum, das erkannte ich jetzt, hatte seinen ehemaligen Narren der Vergessenheit anheimfallen lassen. Als Entschädigung hatte ich wohl mein Haus und meinen Titel,
aber ich selber war vergessen. Klügere, witzigere, nicht so unwürdige Leute waren an meine Stelle getreten. Nachdem ich meinen Zweck erfüllt hatte, war ich in Ungnade gefallen: Krank am Herzen, wie ich war, hatte ich aber nicht die Absicht, Finn einzugestehen (ihm, der so voller hauteur meinem Maltalent gegenüber war), daß ich keinerlei Einfluß mehr in Whitehall hatte.
»Finn«, sagte ich, wobei ich mir den Schlapphut vom Kopfe riß und ihn auf einen Haufen neuer Leinwände warf, »es ist sinnlos, mich auf diese Angelegenheit anzusprechen, da es doch offensichtlich ist, daß Ihr so ganz und gar nicht versteht, wie Geschäfte dieser Art zustande kommen.«
»Könnt Ihr mir sagen, was Ihr damit meint?« fragte Finn und schob seine Füße unbehaglich hin und her, so daß ich das Wasser in seinen Schuhen glucksen hören konnte.
»Ich meine damit, Finn«, sagte ich mit eisiger Stimme, »daß wir in kommerziellen Zeiten leben. Ob Ihr es wollt oder nicht, so ist nun mal die Welt, in der wir leben. Und wer dem nicht Rechenschaft trägt, wird mit großer Wahrscheinlichkeit arm und unbekannt sterben.«
Finn stand sein hübscher Mund offen, was ihm ein kindliches, idiotisches Aussehen gab. »Wenn ich reich wäre«, sagte er kläglich, »würde ich es Euch natürlich mit Gold aufwiegen, wenn Ihr mein Talent Seiner Majestät gegenüber erwähnt, aber Ihr seht ja selbst, daß ich kaum meinen Lebensunterhalt bestreiten kann, und wenn ich das wenige, das Ihr mir für die Malstunden bezahlt, auch noch opfern soll …«
»Auf welche Weise Ihr mich dazu bringt, daß ich meinen Einfluß in London geltend mache, interessiert mich nicht«, schnauzte ich ihn an. »Ich möchte Euch nur darauf aufmerksam machen, daß ein Zeitalter der Philanthropie vielleicht
eines Tages unbemerkt von unseren englischen Händlerherzen Besitz ergreifen wird, daß dies aber nicht jetzt der Fall ist. Und wer sich nicht der Zeit anpaßt, ist nicht nur in Gefahr, von seinesgleichen verachtet zu werden, sondern auch, in einem Armengrab zu landen. Geht jetzt nach Hause oder wieder in Lord Bathursts Kuhstall, oder wo immer Ihr heute nacht Euer unschuldiges Haupt hinbetten wollt, und denkt über das nach, was ich Euch gesagt habe.«
Ich sah ihm nach, als er in den Regen hinausging. Seine große, dünne, den Rückzug antretende Gestalt erinnerte mich wie nie zuvor an meinen Vater, und einen Augenblick lang empfand ich Reue, wie ein wundes Gefühl im Bauch. Ich fühlte mich schrecklich einsam. Auf der Stelle hätte ich Danseuse bestiegen und mich zu einem tollen Ritt nach London aufgemacht, wenn ich dem König nicht versprochen hätte, dem Hofe fernzubleiben – »und zeigt Euch weder in Celias Haus in Kew noch in den Gängen von Whitehall, Merivel« –, falls ich nicht von ihm selbst dorthin eingeladen wurde.
Ich setzte mich vor meine leere Staffelei, nahm meine Perücke ab und raufte mir die Schweineborsten. Wenn ich genau bedachte, was ich alles bekommen hatte, dann hatte ich eigentlich kein Recht, mich betrogen zu fühlen, und doch war dies der Fall. Damals, als ich nach meiner Hochzeitsnacht allein und elend in dem feuchten Wald aufgewacht war und in der Ferne die Kutsche des Königs aus Sir Joshuas Einfahrt hatte fahren sehen, wäre mir nie der Gedanke gekommen, daß ich den König niemals wiedersehen würde. Ich hatte geglaubt, daß meine Zukunft nun unwiderruflich mit der seinen verknüpft war. Ich hatte mir eingeredet, daß er, wenn ihn meine Narretei nicht mehr von seinen Staatsgeschäften
ablenken würde, sicherlich trübsinnig werden und mich vermissen würde. Doch Minettes Tod hatte mir klargemacht, daß ich mich geirrt hatte. Es war jetzt fast Winter. Seit fünf Monaten hatte ich vom König keine einzige Nachricht
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