Zeit der Sinnlichkeit
mir die Mühe des Sprechens erspart bleibt), als mir plötzlich mein Traum vom König auf meinem Dach einfällt, wie er mir auf meine Frage, wie ich je die Kunst des Oboespielens erlernen sollte, geraten hatte, »im Verborgenen zu lernen«. Ich unterbreche den Musikmeister, um einen Toast auf den König auszubringen. Wir erheben unsere Gläser, und ich trinke mit großem Genuß, da ich erkannt habe, daß sich Herrn Hümmels Besuch – im Gegensatz zu Finns, der mir nur lästig ist – als ein sehr glücklicher Umstand erweisen könnte. Denn ich entwerfe nun rund um seinen vorübergehenden Aufenthalt in meinem Hause einen Plan.
Ich blicke Celia an. Vom Wein erwärmt, lächelt sie, aber natürlich gilt dieses Lächeln nicht mir. Ich senke den Blick und gestatte mir für ein paar kurze Sekunden, das Sichheben und -senken ihrer Brüste zu beobachten.
Das unbekannte Bekannte
M ein Geburtstag rückt näher. Ich bin unter dem Sternbild des Wassermanns geboren, dem elften Zeichen des Tierkreises, dem des Wasserträgers, jenes bescheidenen, aber unentbehrlichen Sklaven, der aus Brunnen und Flüssen das für das menschliche Gewebe so lebenswichtige Element holt. Ich stelle mir diesen Wassermann als einen alten, gebeugten Mann vor, dessen Wirbelsäule vom Gewicht eines hölzernen Jochs, an dem zwei randvoll gefüllte Eimer hängen, gekrümmt ist. Immer weiter taumelt er mit seiner kostbaren Last, Tag für Tag, Jahr für Jahr, er schwankt und stolpert, und wie er sich so durch die Zeit bewegt, verschüttet er mehr und mehr Wasser und ruft in den Bäuchen der alten Götter einen Verdruß hervor, der noch stärker ist als ihr Durst. Sie sehnen sich danach, dem Sklaven einen rachsüchtigen Tritt in den dünnen Hintern zu geben. Am liebsten würden sie einen Blitzesspeer hinunterschicken, um seinen zerschundenen Nacken zu durchbohren. Doch das wagen sie nicht. So hoffnungslos es auch mit ihm ist: Sie brauchen ihn.
Trotz meines Geburtsdatums, des 27. Januar, kann ich mich nicht erinnern, daß ich mich jemals unentbehrlich gefühlt habe. Als ich ein Kind war, sah mich meine Mutter liebevoll an, und sie hätte bestimmt eine Weile geweint, wenn ich in den Wäldern von Vauxhall von einem Dachs gefressen worden wäre. Doch das war alles. Sie wäre nicht gestorben, wenn sie meine Hand nicht mehr hätte halten können. Als Medizinstudent betete ich darum, eines Tages mit meinem Wissen und meinen Fähigkeiten einen Menschen dem siche
ren Tode entreißen zu können, aber ich kann mich nicht erinnern, daß dies jemals geschehen ist. Während meines kurzen, wahnwitzigen Aufenthalts in Whitehall glaubte ich mich fürwahr auf dem besten Wege , dem König unentbehrlich zu werden, aber im Laufe der Zeit merkte ich, daß ich mich da ganz und gar getäuscht hatte. In jüngster Zeit nun habe ich mir gewünscht, daß Celia mich schätzt, achtet und mein Leben als etwas äußerst Wichtiges ansieht, doch die meiste Zeit benimmt sie sich so, als gäbe es mich überhaupt nicht. Seit der Ankunft Finns mit seinem Portraitauftrag betrachtet sie mich auch nicht mehr als ihren Aufseher. Sie nimmt an, daß der König sie zurückrufen wird, sobald das Bild fertig ist, und das wird dann das Ende sein. Das Duett meiner Phantasie wird nie zur Aufführung gelangen. Und doch versuche ich weiterhin, ihr zu gefallen. Ihre Stimme bewegt mich nach wie vor mehr, als ich es sagen kann. Wenn ich in ihrer Nähe sitze, vor dem Kamin im Ruhezimmer oder am Tisch beim Abendessen, möchte ich gern die Hand nach ihr ausstrecken und sie berühren. Ich weiß, daß ich ihren Verlust beweinen werde, wenn sie nach Kew zurückkehrt. Vielleicht werde ich auch verrückte Briefe an sie schreiben, in denen ich ausspreche, was ich ihr von Angesicht zu Angesicht nicht zu sagen wage. Denn ich bin etwas Paradoxes: ein entbehrlicher Wassermann. Ich liege töricht ausgestreckt in der Gosse der via della vita. Meine Eimer, die nicht mit Wasser, sondern mit meinen eigenen Gelüsten und meinem nichtigen Verlangen randvoll gefüllt sind, haben mich umgeworfen; ich bin nicht getreten worden.
Ich werde achtunddreißig Jahre alt. Ich werde das Anbrechen, den Verlauf und das Ausklingen des Tages wie folgt zur Kenntnis nehmen: Ich werde ausschlafen und hoffentlich
vom Tennis träumen (ein Sport, der mich immer seltsam glücklich gemacht hat). Am Vormittag verbringe ich dann einige Stunden mit Musikmeister Hümmel, um meinen geheimen Plan zu verfolgen, dessen Austragungsort nun wohl
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