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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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friere.
    »Nun ja«, erwiderte ich, »aber Ihr bekommt bestimmt Fieber, wenn Ihr hier lange sitzt. Ich schlage vor, daß wir uns ins Musikzimmer begeben, wo ein Feuer im Kamin brennt.«
    »Wieviel Uhr ist es?« fragte Celia.
    »Wie bitte?«
    »Ich möchte gern wissen, wieviel Uhr es ist!«
    »Keine Ahnung. Doch wenn Ihr es wünscht, kann ich gern einmal die hübsche Uhr zu Rate ziehen, die ich vom …«
    »Ich glaube, mein Gast kommt zu Mittag an.«
    »Euer Gast? Welcher Gast, bitte sehr?«
    »Darf ich keine Gäste haben, Merivel?«
    »Aber natürlich! Ich wollte nur fragen –«
    »Mein Musiklehrer! Auf Bitten meines Vaters hin hat er sich bereit erklärt, die Reise von London hierher auf sich zu nehmen.«
    »So.«
    »Nun werden meine Tage nicht mehr so öde wie bisher sein. Ich werde sowohl das Vergnügen haben, für einen guten Künstler zu sitzen, als auch das, für einen inspirierenden Musikmeister zu singen.«
    »Es tut mir leid, daß Ihr die Tage ›öde‹ gefunden habt.«
    »Ihr könnt nichts dafür, Merivel. Ich bin nicht für ein solches Leben geschaffen.«
    »Glücklicherweise«, unterbrach Finn sie, »seid Ihr ja bald wieder am Hofe.«
    »Ja«, sagte Celia. »Wenn das Portrait fertig ist, müßt Ihr mich gehen lassen, Merivel. Obgleich es schwierig für mich war, ohne Begleitung zu singen, aber dem wird ja nun dank meinem Vater abgeholfen. Ich tue also, was Ihr vorgeschlagen habt, und versuche durch das Lied zu einem besseren Verstehen meines Schicksals zu kommen. Ihr müßt daher berichten, daß ich alles getan habe, was der König verlangte.«
    »Wir werden sehen, Celia …«
    »Nein! Wir werden nicht sehen! Ich werde auch dann nach London zurückgehen, wenn Ihr dem König nicht gut über mich berichtet. Denn das Portrait ändert alles.«
    »Inwiefern ändert es alles?«
    »Seid Ihr begriffsstutzig, Merivel! Würde denn der König das Portrait einer Frau, die er nicht wiedersehen will, in Auftrag geben?«
    »Das ist gut möglich«, erwiderte ich. »In Erinnerung an alte, nun vergangene Zeiten – als ein bloßes souvenir. «
    Celia schüttelte den Kopf und blickte mich kalt an.
    »Nein«, sagte sie. »Ich kenne den König. Das würde er nicht tun.«
    Ich war drauf und dran, Celia zu erzählen, was ich in jener
seltsamen Nacht auf dem Fluß gesehen hatte, die Lichter in ihrem Haus, die Feiernden am Fenster. Doch ich zögerte. Nicht nur, weil ich Celia nicht auf so grausame Art verletzen wollte, sondern auch, weil die fragliche Nacht in ihren Farben und ihrer Unwirklichkeit in meinem Gedächtnis nun mehr einem Traum glich, so daß ich jetzt nicht mehr hätte beschwören mögen, daß ich das, was ich glaubte, gesehen zu haben, auch wirklich gesehen hatte. Vielleicht hatte ich es nur geträumt, weil ich wollte, daß es so wäre. Das gleiche galt für jenen frühen Morgen, als meine indische Nachtigall gestorben war: Hatte sich Celia da wirklich weinend an mich geklammert? Hatte sie mich da wirklich ihr Haar streicheln lassen? Seitdem war sie mir gegenüber kälter denn je, und es würde nicht mehr lange dauern, dann würde sie mich – mit Finn und dem Musikmeister um sich – ganz vergessen.
    Ich seufzte und verließ das Studio und dachte dabei, daß in dem Raum ein seltsam süßlicher Geruch gehangen hatte, ausgesprochen widerwärtig und ekelhaft, der nur vom Puder von Finns Perücke herrühren konnte.
     
    Ich fühle mich müde bis auf die Knochen, so müde, daß ich den Erschöpfungsschmerz bis in den letzten Lendenwirbel spüre. Und doch bin ich hier beim Abendessen, blau gekleidet und mit einer gelben Schleife auf meinem Spitzenkragen, und speise Wildfleisch mit Celia und ihrem Musikmeister, der Hümmel heißt. Seine Familie stammt aus Hannover, er kleidet sich wie ein Puritaner und klagt über Frostbeulen an den Füßen.
    »Musikmeister Hümmel ist ein sehr kultivierter Mensch«, hat mir Celia versichert, doch seine Kultiviertheit ist bei Tische am allerwenigsten offenkundig, da eine leichte Lähmung
seiner Unterlippe eine Neigung zum Sabbern hervorgerufen hat. Ich schätze den Mann auf etwa fünfzig. Sein Englisch ist ausgezeichnet, zwar mit starkem Akzent, aber ganz ohne Fehler. Ich finde seine Anwesenheit einigermaßen erträglich.
    Wir trinken einen guten Bordeaux. Die durch meine Erschöpfung verursachten Schmerzen lassen ein wenig nach. Ich unterhalte mich gerade mit Herrn Hümmel über das Thema der Harmonien bei Madrigalen (worüber ich sehr wenig weiß, er dafür um so mehr, so daß

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