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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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allerdings durch die Härte der Bestrafung »erschlagen« fühlte, konnte der König nicht im entferntesten ahnen. Ich hatte von dem Augenblick an, in dem ich mir über Finns Rolle als Spion in meinem Haushalt klargeworden war, gewußt, daß mein Betragen Celia gegenüber jede Zuneigung, die der König noch für mich empfinden mochte, ersticken könnte, aber es war mir nie in den Sinn gekommen, daß er mir mein Haus wegnehmen würde. Ich hatte geglaubt, Bidnold sei mein für immer. Ab und zu hatte ich mir sogar vorgestellt, dort alt zu werden – vielleicht mit Violet als Gefährtin, falls Bathurst einmal an einem epileptischen Anfall sterben sollte – und auf dem Friedhof von Bidnold begraben zu werden. Und nun, da ich es verlieren sollte, zusammen mit Will Gates und Cattlebury und dem Teppich von Tschengtschau und meinem türkisfarbenen Bett und allem anderen, merkte ich, wie sehr ich an ihm hing. Ich hatte es mir zu eigen gemacht. In jedem Zimmer spiegelte sich ein Teil meines Charakters wider. Bidnold war der anatomisch zerlegte Merivel. Von meinem farbenprächtigen und lärmenden Bauch ging man zu meinem Herzen hoch, das sich zwar nach Abwechslung sehnte, aber auch die Verborgenheit liebte, und dann zu meinem Gehirn, einem kleinen, aber schönen Ort, der gelegentlich voller Licht, aber doch ganz und gar leer war. Indem der König mein Haus wieder in seinen Besitz nahm, nahm er mich mir selbst weg.
    Bisher war ich immer, wenn ich mit meinem Herrscher zu tun gehabt hatte, gehorsam und unterwürfig gewesen; ohne weitere Fragen zu stellen oder zu verhandeln, hatte ich ge
tan, was mir befohlen wurde. Nun aber, angesichts meiner ohne das Haus so leeren Zukunft, fühlte ich mich doch bewegt zu versuchen, den König umzustimmen. Ich kniete auf dem Steinplattenboden des Sommerhauses nieder und legte die Hände zusammen wie im Gebet.
    »Majestät«, sagte ich. »Ich bitte Euch, mich nicht von Bidnold zu vertreiben. Ich pflege dort nicht den Müßiggang, wie Ihr zu glauben scheint. Ich bin auf dem Wege zu einem neuen Beruf, dem des Künstlers. Ich lerne, die Oboe zu spielen, versuche, die Sterne zu verstehen, und habe eine neue Verantwortung übernommen: als Aufseher der Armen.«
    Der König stand auf. Ich war, wie stets, von der Schönheit und Eleganz der Beine beeindruckt, vor denen ich kniete.
    »Als Aufseher?« fragte er. »Dieses Wort scheint Euch zu gefallen, denn Ihr habt es auch Celia gegenüber verwendet. Doch ein Aufseher sollte unparteiisch, distanziert und freundlich sein, und Ihr wart ihr gegenüber nichts davon. Werdet Ihr nun die Armen Eurer Gemeinde mißbrauchen, so wie Ihr Celia mißbraucht habt?«
    »Nein, Sir. Und ich kann nicht oft genug wiederholen, wie leid mir das tut, was ich Celia angetan habe. Ich liebte sie, und das war mein Fehler. Die Armen liebe ich nicht, ich bemitleide sie nur.«
    »Was tut Ihr denn für diejenigen, die Ihr bemitleidet?«
    »Ich lerne über sie, Sir, über ihren Verbleib, ihr Holzeinsammeln und andere bedauerliche Aufgaben, ihre Arbeit an den Webstühlen in Norwich …«
    »Und wie soll ihnen das helfen?«
    »Genaugenommen ›helfe‹ ich ihnen noch nicht, Euer Gnaden –«
    »Aber genau das tatet Ihr, bevor ich Euch traf. Im St.-Tho
mas-Hospital habt Ihr ihnen geholfen – mit der einzigen Fertigkeit, die Ihr je besessen habt.«
    »Ich kann diese Fertigkeit nicht mehr gebrauchen, Sir. Ich kann es nicht. «
    »Warum?«
    »Ich kann es nicht  …«
    »Warum, Merivel?«
    »Weil ich Angst habe!«
    Der König, der im Sommerhaus auf und ab gegangen war, blieb nun stehen, drehte sich zu mir um und hielt mahnend seinen Zeigefinger hoch, der in einem Handschuh steckte, den mein verstorbener Vater angefertigt hatte. »Genau!« erklärte er. »Und glaubt nicht, daß ich das nicht gewußt habe! Aber wir leben in einer ernsten Zeit, Merivel, und diejenigen, die Angst haben, werden in ihr nicht überleben. Diejenigen, die schwach sind, werden in ihr nicht überleben. Und Ihr, wenn Ihr so bleibt, wie Ihr seid, werdet in ihr auch nicht überleben.«
    »Erlaubt mir, Euch daran zu erinnern, Majestät, daß Ihr es wart, der mich aus dem St.-Thomas-Krankenhaus geholt hat. Ihr vertrautet mir die königlichen Hunde an. Ihr mochtet mich wegen meiner Narrheit …«
    » Und wegen Eures Könnens. Denn damals lag beides in Euch, das Licht und der Schatten, das Seichte und das Tiefe. Doch nun habt Ihr Eure Fertigkeit verloren und seid nur noch eine närrische Masse.«
    Mein Bitten hatte also

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