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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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die Spuren meiner Masern hatte verdecken wollen. Ich konnte nicht mehr rennen, sondern nur noch taumeln. Ein Ball nach dem anderen schoß an mir vorbei ins dedans oder ins Gewinnfeld. Frage nie nach, dachte ich, für wen die Glocke läutet. Sie läutet für dich, Merivel. Und dann dachte ich an Pearce,
dessen Lieblingsdichter John Donne ist. Und ich bat Pearce, jetzt an mich zu denken und mir Kraft zu geben, mit all dem, was noch kam, fertigzuwerden.
    »Wie ich mir schon dachte«, sagte der König am Schluß des Satzes, »Ihr seid langsam geworden!«
    »Ich weiß, Sir …«, murmelte ich.
    »Sehr langsam. Und es handelt sich natürlich um ein schnelles Spiel.«
     
    Ich folgte dem König in den Garten, wo ich Will zurückgelassen hatte, der dort noch immer in seinen grauen Gamaschen stand. Der König ging so schnell, daß ich mich sehr beeilen mußte, um mit ihm Schritt zu halten, und keine Möglichkeit sah, seine Aufmerksamkeit zu erringen, um ihn zu bitten, seinen majestätischen Blick, wenn auch nur kurz, auf meinen Diener zu richten. Doch ich konnte es mir nicht leisten, mir allzu große Sorgen um Will zu machen. Ich wußte, daß meine Niederlage beim Tennis nur der Auftakt zu einer weit schlimmeren Bestrafung war.
    Ich wurde in ein kleines Sommerhaus geführt, das dem auf Bidnold, wo ich mich kurz an heimlichen Oboestunden mit Herrn Hümmel versucht hatte, recht ähnlich war. Dieses hier war zwar gekehrt und sauber, doch in dem schwindenden Licht des Winternachmittags auch ein etwas frostiger Aufenthaltsort. Ich zog meinen schwarz-goldenen Rock an. Der König schneuzte sich und wandte sich mir dann zu. Er war mir so nahe, daß ich die feinen Linien, die sich in seinen Augenwinkeln und am Rande seiner Lippen gebildet hatten, genau sehen konnte. Ich hatte den Eindruck, daß er seit unserer letzten Begegnung in seinem Labor gealtert war, und diese Beobachtung bekümmerte mich so, als hätte ich ge
glaubt, daß in einer sich verändernden Welt der König allein dem Zugriff der Zeit entzogen war.
    »So«, sagte er schließlich, »Ihr habt Euch nicht an die Regeln gehalten, Merivel.«
    »Beim Tennis, Sir?«
    »Nein. Nicht beim Tennis. Was Eure Frau betrifft.«
    Ich blickte zu Boden. Ich bemerkte Blut in meinem Schuh, konnte mir aber nicht vorstellen, woher es gekommen sein mochte.
    »Ich weiß nicht, gegen welche Regeln ich verstoßen habe, Sir«, sagte ich ruhig.
    »Das überrascht mich. Warum wurdet Ihr als Celias Mann ausgewählt, Merivel?«
    »Weil Ihr wußtet, daß ich alles tun würde, was Ihr von mir verlangt.«
    »Das trifft auf sehr viele Leute in unserem Königreich zu. Nein, das war es nicht. Es war, weil Ihr mir bei einer unserer ersten Begegnungen die Geschichte vom sichtbaren Herzen, das Ihr in Cambridge gesehen hattet, erzählt habt. Ihr sagtet zu mir, Ihr wüßtet, daß Euer eigenes Herz vollkommen gefühllos sei. Und ich habe Euch geglaubt. Doch jetzt sehe ich, daß ich das nicht hätte tun sollen, denn es ist keineswegs wahr.«
    Lange Zeit herrschte Schweigen. In Gegenwart des Königs scheint Schweigen ein ausgesprochen furchterregender Zustand zu sein, und ich fühlte mich heiß und schwach.
    »Um Liebe wart Ihr nicht gebeten worden, Merivel«, sagte der König endlich. »Ja, genaugenommen war es sogar das einzige, was Euch verboten war. Doch Ihr seid so weich und verhätschelt und töricht geworden, daß Ihr nicht erkennen konntet, daß Euch diese Regelverletzung wie den alten Adam aus dem Paradies vertreiben würde.«
    »Aus dem Paradies?«
    »Ja. Denn welche Rolle könnt Ihr jetzt noch spielen? Die von Celias Mann kommt nicht mehr in Frage, da sie nicht will, daß Ihr ihr noch einmal unter die Augen tretet. So habt Ihr Euch damit, daß Ihr versucht habt, das zu sein, was Ihr nur hättet darstellen sollen, selbst unbrauchbar gemacht.«
    Ich blickte hinaus in die Abenddämmerung, die sich langsam über den Garten legte. In der Nähe einer Steinbank konnte ich Wills schattenhafte Gestalt erkennen, der sich mit dem Hereinbrechen der Dunkelheit verloren fühlen würde.
    »Ich hatte nicht beabsichtigt …«, stammelte ich, »… mich in Celia zu verlieben. Zuerst liebte ich ihre Stimme, ihre Musik. Und ich weiß nicht, wie sich diese Liebe in eine Liebe anderer Art verwandelte. Ich weiß es nicht.«
    »Es geschah, weil Ihr es geschehen ließt , Merivel. Ihr wurdet nutzlos. Ihr hattet zuwenig Arbeit und zuviel Zeit zum Träumen. Und dann gabt Ihr Euren Träumen nach. Ihr dachtet, Ihr könntet für

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