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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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auch sie am Ende. Ich glaube, alles, was wir noch füreinander empfanden, war eine traurige Zärtlichkeit. Ich gab ihr dreißig Shilling (wenn ich sparsam war, würde es mir noch eine Weile nicht an Geld mangeln), und sie gab mir einen kleinen Kuß auf die Wange, die noch immer fleckig von Masernspuren war. Dann sagten wir einander adieu.
     
    So kam ich also nach Bath.
    Das Merkwürdigste am Schmerz eines Individuums ist, daß die Welt, die davon nichts weiß, sich so verhält, als gäbe
es diesen Schmerz nicht, weiter herumkreischt und sich selbst Beifall klatscht, Sport treibt und spazierengeht, sich Witze erzählt und vor Lachen ausschüttet. So sehe ich, als ich ins Cross-Bad gehe und dort, nur mit ungebleichten Pantalons am Leib, ins Wasser steige, daß über mir in den Steingalerien komplett angezogene Leute mit überlegenen und zufriedenen Mienen herumschlendern, sich den neuesten Klatsch erzählen und kichern, sich Luft zufächeln und auf die Badenden mit einer eleganten Nonchalance hinunterschauen. Sie wissen nichts von dem, was mir widerfahren ist. Sie können sich nicht vorstellen, daß ich mich in diesem Heilwasser, das äußerst merkwürdig nach gekochten Eiern riecht, davon heilen will, Merivel zu sein.
    Ich blicke auf die anderen Badenden um mich herum. Das Cross-Bad ist unterteilt: die Männer auf der einen, die Frauen auf der anderen Seite. In meiner Männerreihe sehe ich einen älteren Mann, der seine Perücke unklugerweise auf dem Kopf behalten hat. Wenn er eine Kur gegen Eitelkeit macht, dann beeinträchtigt er schon die Wirkung des Heilbads.
    Die Frauen mir gegenüber machen einen höchst seltsamen Eindruck. Aus Sittsamkeit tragen sie merkwürdige gelbe Kleidungsstücke aus steifer Leinwand, die sich beim Eintauchen ins Wasser wie Ballons aufblähen. Ich kann meine Augen nicht davon abwenden. Ich stelle mir vor, daß sie so mit Luft gefüllt sind, daß sie anfangen, auf dem Wasser herumzuhopsen, und dann hilflos in der sprudelnden Strömung des Bades auf mich zutreiben. Ich fühle schon, wie sie von allen Seiten auf mich eindrängen, diese Frauenballons, doch dann sehe ich, daß ich mich im Irrtum befinde: Ich habe die Frauen nicht richtig gesehen. Ihre Röcke und Oberteile sind nicht mit Luft gefüllt, sondern mit Wasser. Sie sind nicht leicht, son
dern schwer – so schwer, daß sie wie mit einem Anker an ihre Sitze gekettet sind. Auch wenn wir alle bis zum Hereinbrechen der Nacht im Cross-Bad blieben, würden die Frauen immer von uns getrennt bleiben. Außer natürlich, wenn der König herunterkäme und ins Wasser stiege. Dann, glaube ich, würden die Frauen wie Elritzen aus ihrem Laich ausbrechen und sich zu ihm hinschlängeln.
    Ich sitze viele Stunden still im Wasser und versuche, den Reinigungsprozeß bewußt zu fühlen. Ich zwinge mich, in Gedanken alle Räume auf Bidnold aufzusuchen, einen nach dem anderen. Ich stehe in jedem Türrahmen und sehe zu, wie alle meine Besitztümer entfernt werden, dann auch die Möbel, Teppiche und Wandbehänge, so daß nichts mehr im Raum an meine Anwesenheit erinnert. Und dann stelle ich mir vor, wie das Heilwasser von Bath in den Raum fließt und ihn schwefelgelb färbt, um sich dann wie das Meer bei Ebbe wieder zurückzuziehen. Und nun ist der Raum kein Raum mehr, sondern nur noch ein ausgewaschener, leerer Ort.
    Als ich den Gestank des Wassers nicht mehr ertragen kann, ziehe ich mich wieder in mein Zimmer im »Red Lion« zurück. Der Wirt heißt John Sweet. Seine Frau, Mistreß Sweet, singt noch immer ohne Begleitung und ohne Zuhörer, wenn man einmal von ihr selbst und Merivel absieht. Sie allein weiß, daß ich kränkle, denn ich kann die Speisen, die sie heraufschickt, nicht essen.
     
    Ich habe in der vergangenen Nacht einen schändlichen Traum gehabt. Ich war in einer hohen Kammer in Whitehall, wo eine kleine Gruppe Galane mit ihren Frauen zusammen mit dem König und seiner Königin versammelt waren. »Warum sind wir eigentlich hier?« fragte ich einen, in dem ich Sir Ru
pert Pinworth erkannte. »Warum?« meinte Sir Rupert. »Wegen der Hochzeit natürlich!«
    In diesem Augenblick kam Bewegung in die Menge, um einen Durchgang für die Braut und den Bräutigam freizumachen. Ich reckte den Hals, um sie zu sehen. Sie liefen gesetzten Schrittes, Arm in Arm, zum anderen Ende der Kammer, wo ein Pfarrer auf sie wartete, um seine Gebete für sie zu verlesen. Der Bräutigam trug einen scheußlichen, schwefelgelben Rock und Gamaschen, die Braut ein sehr

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