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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Euch eine Neubesetzung vornehmen. Voilà tout. Und jetzt kann ich Euch nicht mehr gebrauchen.«
    Der König nahm seinen Blick von mir, und einen Augenblick glaubte ich, diese Worte bedeuteten, daß ich gehen konnte. Doch das taten sie nicht. Er hatte mir noch mehr zu sagen.
    »Zu Eurem Glück, Merivel«, fuhr der König fort, »empfinde ich noch so viel Zuneigung für Euch, daß ich Euch gerne wieder nützlich machen möchte, wenn nicht für mich, dann für die Menschen. Ich fürchte allerdings, daß dies einige Zeit brauchen wird, denn seht Euch an! Wie erbärmlich Ihr doch geworden seid! Aber wir müssen es versuchen, nicht wahr?«
    »Ja, Euer Gnaden.«
    »Nun gut. Dann hört, was ich vorhabe. Ich selbst bin im
Augenblick damit zufrieden, wie ich mir mein Leben eingerichtet habe. Celia ist zurückgekehrt und scheint zu einer gewissen Einsicht gekommen zu sein – vielleicht durch Euch, obwohl ich das bezweifle und sie es natürlich abstreitet. Sie ist jedenfalls nach Kew zurückgekehrt, und ich bin glücklich, sie dort zu wissen. Aber in den meisten anderen Angelegenheiten bin ich nicht so glücklich. Ich habe den Eindruck, daß der ›Honigmond‹ meiner Regierungszeit vorbei ist.«
    Der König wandte sich wieder ein wenig von mir ab, so daß ich sein Gesicht im Profil sehen konnte, und ich war, nicht zum ersten Mal, von der Länge und Feinheit seiner Stuartnase beeindruckt, die so gar keine Ähnlichkeit mit meiner Nase hat. Ich wollte gerade anmerken, daß die Liebesbeziehung zwischen dem König und seinem Volk bestimmt so lange andauern würde, wie er lebte, als er mir, bevor ich noch zum Sprechen ansetzen konnte, das Wort abschnitt.
    »Mir fehlt es an Geld«, sagte er. »Wir führen einen Handelskrieg mit Holland, und ich habe nicht die Mittel für die Ausstattung unserer Schiffe. Diese Armut ist sehr demütigend, Merivel, und dagegen muß etwas getan werden. Ich habe zu großzügig, zu verschwenderisch Land und Güter verschenkt. Doch nun muß ich rechnen. Jetzt kommt eine Zeit, in der ich mich um die ›Arithmetik‹ kümmern muß.«
    Und so kam der König schließlich zu dem, was er seine »Arithmetik« nannte. Er wollte mir Bidnold wegnehmen.
    Er wollte es »wieder in Besitz nehmen«, so wie er Celia wieder in Besitz genommen hatte. Denn es gehörte mir nicht, ebensowenig wie mir Celia gehört hatte. Alles, was ich besaß, stammte von ihm, und jetzt nahm er es zurück. Irgendein französischer Edelmann würde es ihm abkaufen, das Haus, die Ländereien, die Möbel, einfach alles, und das so erwor
bene Geld würde zum Ankauf von Hanf, Teer, Segeltuch und Tauwerk verwendet werden. Auf diese Art und Weise würde Bidnold wieder »nützlich werden«. Durch die Arithmetik des Königs würde Land in Schiffe umgewandelt werden, und diese Schiffe würden Kriegsschiffe sein.
    Und was sollte aus mir werden? Wie, o Herr, sollte ich wieder nützlich gemacht werden? Dadurch, daß ich gezwungen sein würde, nun, da ich kein Land mehr besaß, zu dem einzigen Beruf zurückzukehren, mit dem ich mir meinen Lebensunterhalt verdienen konnte: der Medizin. Ich sollte endlich aus dem Schlaf erwachen, in den mich der König hatte fallen sehen. Ich würde nicht mehr in der Lage sein, meine Zeit unter dem Norfolk-Himmel zu verträumen, denn von nun an – genaugenommen von dieser Nacht an – würde ich nichts mehr besitzen als mein Pferd und mein Chirurgiebesteck, denn das waren die einzigen Dinge, die »Geschenke der Zuneigung« und nicht »Geschenke der Berechnung« gewesen waren.
    Die Pest war im Anzug. Und wie mir früher schon einmal gesagt worden war, rüttelt diese die Menschen nicht nur aus dem Schlafe auf, sondern auch aus der Vergeßlichkeit. Sie denken an den Tod. Auch ich würde daran denken, daß das Leben kurz ist, daß der Tod langsam seine Hände danach ausstreckt, genauso sicher, wie jetzt die Dämmerung über das Sommerhaus fiel. Und mit dieser Erinnerung würde noch eine andere kommen: Ich würde mich an die Anatomie erinnern. »Und so, Merivel, werdet Ihr wieder tätig sein und nicht mehr träumen. Dann seid Ihr nützlich!«
    Ich glaube, hier lächelte mich der König an. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, daß er es für einen klugen und zufriedenstellenden Plan hielt, mir Bidnold wegzunehmen, da
er damit, könnte man vielleicht sagen, zwei Fliegen mit einer Klappe schlug, indem er mich wieder »nützlich« machte und sich selbst einen kleinen Geldbetrag beschaffte. In welch schrecklichem Maße ich mich

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