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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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keinen Sinn. Der Entschluß des Königs war gefaßt. Einen Augenblick lang überlegte ich, ob ich mich vor ihm auf den Boden werfen sollte, doch ich wußte, daß Flehen den König nicht rühren konnte, es ärgerte ihn bloß. Und was die Enteigneten angeht, so hat er kein Mitleid
mit ihnen, denn er war einst einer von ihnen und hatte jahrelang auf seine Wiedereinsetzung warten müssen.
    Was blieb mir also anderes übrig, als mich in mein Schicksal zu fügen, auch wenn ich es für ungerecht und grausam hielt, und dabei möglichst überzeugend Tapferkeit zur Schau zu stellen?
    Der König ging nun zur Tür und schickte sich an, das Sommerhaus zu verlassen. Bevor er ging, schaute er noch ein letztes Mal auf mich herab und teilte mir mit, daß ich für eine Woche nach Bidnold zurückkehren könne, »um dort Euren Weggang vorzubereiten. Bitte gebt die Schlüssel dann Sir James Babbacombe, den ich mit dieser Angelegenheit betraut habe. Dann also, au revoir , Merivel. Ich sage nicht adieu , denn weiß man, ob die Geschichte nicht irgendwann in der Zukunft einmal eine andere Rolle für Euch bereithält?«
    Und dann war er weg. Sobald er das Sommerhaus verlassen hatte, waren Diener mit Lampen gekommen, um ihm auf seinem Weg zu leuchten. Sie hatten auf den Augenblick gewartet, in dem er mich verlassen würde.

»Nicht wie Silber …«
    E inige Tage sind vergangen. Ich bin in Bath und habe mich in einer Herberge namens »The Red Lion« einquartiert. Ich bin in der Hoffnung hergekommen, daß das schwefelhaltige Heilwasser einen Teil meiner Verzweiflung aus meinem Kopf herauswaschen wird. Meine Wirtin frönt beim Matratzenausklopfen und Nachttopfentleeren dem Gesang. Ich ertappe mich dabei, wie ich auf einen geisterhaften Begleiter lausche.
    Ich bin nicht nach Bidnold zurückgekehrt und habe das auch nicht mehr vor. Ich habe Briefe an mein Personal geschickt, in denen ich mich für mein Unglück, das nun auch das ihrige wird, entschuldigte. Ich habe darum gebeten, daß einer meiner Stallburschen Danseuse mit einigen meiner wahren Besitztümer wie ein Packpferd aufsattelt und sie langsam und in kleinen Etappen nach London bringt. Ich, der ich über Pearces »glühende Kohlen« gespottet habe, besitze nun auch nicht viel mehr, was ich mein eigen nennen kann. Sollte Danseuse in ihrer entzückenden Zierlichkeit in ein Bodenloch treten und sich ein Bein brechen, dann werde ich gezwungen sein, mir auch so einen schrecklichen, beißenden Maulesel zu kaufen.
    In meinen Träumen werde ich von Will Gates heimgesucht. Er weint. Sein braunes Eichhörnchengesicht ist ganz klein und häßlich. Er gleicht einem Baby, das darum ringt, geboren zu werden. Er versucht, seine Tränen mit den Fäusten wegzuwischen. Und dann steigt er auf meinen Kutschbock, setzt sich neben den Kutscher und wird weggefahren.
    Will Gates! Ich habe dich wirklich sehr gern gehabt, Will.
    Als Will abgereist war, verließ ich Whitehall ganz schnell zu Fuß und wandte mich nach Osten, so, als versuchte ich vergeblich, der Kutsche zu folgen. Die Winternacht war hereingebrochen, es war dunkel auf den Straßen, und ich hatte mich bald verlaufen. Doch dann – ich war eine enge Straße nach der anderen hinuntergeeilt – sah ich vor mir den großen, massiven Tower. Es hatte nicht in meiner Absicht gelegen, dorthin zu gehen, doch mein verstörter Geist sah in ihm sofort einen Zufluchtsort. Den Wachen teilte ich mit, daß ich vom König geschickt sei, um nach den Löwen und Leoparden zu sehen, die er dort angekettet hält, und sie ließen mich hinein.
    Ich kannte den Weg zum Verlies, wo die Tiere eingesperrt sind. Von einem eisernen Wandleuchter nahm ich eine Fackel und folgte meinem eigenen Schatten hinunter in die dumpfen Eingeweide des Towers, wo selbst mitten im Sommer kein Licht auf die Steine fällt und wo, wie es heißt, die Geister der toten Könige von England zusammen mit Hunderten ihrer alten Feinde, für sie selbst völlig unerwartet, wie in einem Zirkus vorgeführt werden. Und da sah ich die Löwen, die die Namen von Königen tragen: Henry, Edward, Charles und James – hin und her laufend, mit mageren Schenkeln und verklebten Pelzmähnen. Und es war in diesem Augenblick wie in keinem zuvor (weder als ich den Garten des Königs verließ, noch als ich Will und meinem Kutscher adieu sagte), daß ich das volle Entsetzen über meinen Sturz empfand.
    Ich stand längere Zeit ganz still da. Ich beobachtete die Löwen, doch sie schauten nicht ein einziges Mal zu mir

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