Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)
und Antonella angriffslustig an. «Wonach sieht das aus, eh? Wonach riecht das? Nach einem verdammten Komplott riecht das! Wahrscheinlich will Ambrosiano mein Nachfolger werden … oder der werte Dottor Malzoni, die ewige Nummer zwei!»
Fattori und Antonella saßen schweigend am Tisch. Der Anwalt zerbröselte langsam ein halbes Hörnchen zwischen seinen Fingern, die beiden Carabinieri schauten starr geradeaus.
«Warum sagt ihr denn nichts, eh? Weil ich recht habe, vero? Weil euch kein Gegenargument einfällt!»
Endlich schüttelte Antonella den Kopf.
«Nein, Dottor Massimo», sagte sie sehr bestimmt. «Es handelt sich um eine Verkettung unglücklicher Umstände. So etwas gibt es –»
«… zum Beispiel den Untergang der Titanic! Wollten Sie das sagen, Antonella?» Massimo brüllte nicht mehr, seine Stimme klang ätzend, voll Spott und Verachtung.
«Nein, das wollte ich nicht sagen.»
«Was dann?»
«Ich möchte mich auf dieser Ebene nicht länger mit Ihnen auseinandersetzen, Dottore.» Antonella rang sichtlich um Selbstbeherrschung.
«Auf welcher Ebene dann?»
Ich bin ungerecht, dachte Massimo. Warum lasse ich meine Wut ausgerechnet an Antonella aus, die immer für mich da war, der ich seit Jahren vertraue, die nahezu alle Geschäftsgeheimnisse der Banca libera kennt, die trotz aller Schwierigkeiten hierhergekommen ist. Wieso traue ich ihr plötzlich nicht mehr? Paranoia … die Erschütterungen der letzten Tage konnten durchaus eine schlummernde Paranoia in ihm ausgelöst haben. Immer wieder hatte sein Vater von den Gefahren gewisser Traumata gesprochen, die das Vertrauen ins Leben, in die Umwelt und die Mitmenschen zerstören. Vorträge hatte er darüber gehalten, Vorlesungen an der Universität, Fallbeispiele aus seiner Praxis dokumentiert. Beim Mittagessen hatte er darüber referiert, bis sein Essen kalt geworden war: «Die Erschütterung des Urvertrauens ist eine der verbreitetsten Ursachen für schwere psychische Erkrankungen. Der Krieg ist unter anderem solch ein Auslöser.» Massimo konnte ihn am Esstisch sitzen sehen, mit erhobenem Zeigefinger und diesen intensiven dunklen Augen hinter der randlosen Brille. Es war sein Thema gewesen: Vom Ausbrechen paranoider Psychosen.
Ich darf nicht schon wieder eine Diagnose stellen, dachte Massimo. Es bringt überhaupt nichts. Alles, was hier abläuft, ist Realität, und es passiert nicht nur mir, sondern auch dem Chef von JP Morgan und vielen anderen. Das Einzige, was die nicht haben, ist eine Leiche.
Er blieb in der Mitte des Kuhfells stehen und wandte sich Antonella zu, begegnete ihrem erschrockenen Blick und versuchte zu lächeln.
«Bene», murmelte er, «eine andere Ebene. Tut mir leid, dass ich so ausgerastet bin. Dieser Hausarrest ist nicht besonders gut für meine Nerven. Jetzt sagt bitte nicht, dass ihr dafür Verständnis habt und es nachfühlen könnt. Das könnt ihr sicher nicht. Welche Ebene wollen wir also betreten?»
Antonella biss sich auf die Unterlippe, atmete dann tief ein und lächelte ebenfalls. Ihr gelang es ein bisschen besser als Massimo. «Eine sachliche Ebene, Dottore. Ich habe die wichtigsten Daten im Kopf, da ich angenommen hatte, dass ich weder mein Tablet noch andere Hilfsmittel mit ins Haus bringen dürfte. Wir sollten eine Strategie festlegen und überlegen, was zu tun ist. Vielleicht greifen ja die Kreditausfallversicherungen.»
«Also die sachliche Ebene. Ich glaube nicht an diese Ausfallversicherungen, Antonella. Aber lassen Sie mich die Zahlen hören, vielleicht fällt uns etwas ein. Ich bin sicher, dass Sie, werter Avvocato, auch eine Strategie entwickeln wollen, nicht wahr?»
Fattori zog die Schultern hoch und brachte so etwas Ähnliches wie ein Grinsen zustande. «Das wäre nicht schlecht, Dottore. Die Situation ist inzwischen ernster, als ich dachte.»
«Auf der sachlichen Ebene ist mir das durchaus klar, Fattori. Übrigens, Antonella, haben Sie etwas über einen bestimmten Herrn herausgefunden? Sie wissen, wen ich meine?»
«Ich habe, und ich bin sicher, dass wir damit etwas anfangen können, nicht wahr, Avvocato?»
«Es klingt vielversprechend», sagte Fattori, und diesmal fiel sein Lächeln breiter aus.
Commissario Guerrini wurde an diesem Morgen zum Questore gerufen, der ihm einen Caffè anbot und dann ohne Umschweife auf den Fall des toten deutschen Bankers zu sprechen kam. Ausführlich ließ er sich von Guerrini Bericht erstatten, verzog ab und zu das Gesicht, als bereite ihm Schmerzen, was er zu
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