Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)
vor einem Laptop und spielten irgendein Spiel. Es waren andere als am Vorabend. Massimo hatte die Ablösung nicht mitbekommen, obwohl er sicher war, nicht eine Sekunde geschlafen zu haben. Die beiden waren so vertieft, dass sie ihn erst bemerkten, als er «Buon giorno» sagte und «Wollen Sie auch einen Caffè?»
«In der Thermoskanne ist noch frischer. Sie können sich davon nehmen, Signor Massimo.»
«Danke.»
Wieso bedankte er sich bei Fremden, die in seiner Küche seinen Caffè zubereiteten und tranken? Die sich nicht vorstellten, ihn nur kurz musterten und dann weiter auf den Bildschirm starrten. Nicht einmal «Buon giorno» hatten sie gesagt. Wenn es seine Angestellten wären, würde er sie sofort entlassen. Aber davon war er inzwischen weit entfernt. Vermutlich hatten die Carabinieri Anweisung, jeglichen freundschaftlichen Kontakt mit ihm zu unterlassen. Sie waren ja nicht zu seinem Schutz hier, sie bewachten ihn, einen mutmaßlichen Mörder, in seinem Luxusgefängnis.
Massimo stellte sich hinter den ausladenden Küchentresen, der ihm an diesem Morgen schon wieder viel zu groß vorkam. Alles war zu groß, genau wie am Vortag. Er hatte das Gefühl, als stimme etwas nicht mit seinen Augen, als leide er an einer Erweiterung seiner Sehfähigkeit.
Gestern Abend hatte er im Telegiornale gesehen, dass sich die amerikanische Großbank JP Morgan verzockt hatte. Über zwei Milliarden in der spanischen Immobilienblase versenkt. Nein, die Banca libera hatte zum Glück keine spanischen Immobilienfonds, dafür französische, und mit denen konnte es auch ganz schnell zu Ende gehen. Außerdem hatten Massimos Investmentbanker auf seine Anweisung hin zähneknirschend in australische Immobilien und Minengesellschaften investiert, derzeit eine halbwegs sichere Angelegenheit. Ein bisschen China hatten sie auch in diese Pakete gemischt, dezent, sodass es nicht auffiel. Ein Fonds, der sich gut verkaufte und sogar einigermaßen vertretbar war. Trotzdem konnte auch das sich innerhalb kurzer Zeit ändern, und Massimo hätte gern genau jetzt einen Blick auf die Zahlen geworfen.
Wieder spürte er Angst in sich aufsteigen. Seine Hände zitterten so sehr, dass er beim Einschenken zweimal die Espressotasse verfehlte. Er wischte die braune Lache auf, nahm seine Tasse und ging zur Terrassentür.
«Ist es erlaubt, draußen zu sitzen, während ich meinen Caffè trinke?»
«Nur, wenn wir mitkommen.»
«Warum sollten Sie mitkommen?»
«Damit Sie nicht plötzlich weglaufen, Dottor Massimo.»
«Ich laufe nicht weg.»
«Vertrauen ist gut, Kontrolle besser.» Seufzend beendeten die beiden ihr Computerspiel und erhoben sich.
«Wollen Sie wirklich da raus? Es ist wahrscheinlich kalt.»
«Kälte macht mir nichts aus.» Massimo griff nach dem Türöffner, doch einer der jungen Soldaten trat schnell neben ihn und schüttelte den Kopf. «Lassen Sie mich das machen.»
«Weshalb kann ich das nicht selbst machen? Es ist doch nicht gefährlich oder strafbar, die eigene Terrassentür zu öffnen, oder?»
«Wir haben unsere Anweisungen.» Der junge Mann, dessen Gesicht von einem weichen, dunkelbraunen Bart eingerahmt wurde, schaute auf Massimos nackte Beine und Füße. «Wollen Sie sich nichts anziehen? Es ist wirklich sehr kühl draußen.»
«Nein, ich will mir nichts anziehen. Ich will jetzt sofort meinen Caffè auf der Terrasse trinken, in genau dem Stuhl, den Sie von hier aus sehen können. Wenn ich den Caffè getrunken habe, werde ich wieder ins Haus gehen, im Fitnessraum ein bisschen trainieren und dann duschen. Sind Sie mit diesen Auskünften zufrieden?»
Hatte er gebrüllt? Beinahe. Der junge Mann zuckte die Achseln, öffnete die Glastür, bedeutete Massimo zu warten und trat auf die Terrasse. Er schaute sich sorgfältig nach allen Seiten um, prüfte auch den Himmel, lauschte ins Land hinaus, und erst dann winkte er seinem Gefangenen. Als Massimo sich in seinem Stuhl niedergelassen hatte, nahmen die beiden Carabinieri links und rechts von ihm Aufstellung – in halbwegs respektvoller Entfernung von je zwei Metern.
Es war wirklich kalt und der Caffè nur noch lauwarm. Bis ganz hinab ins Tal reichte das blaugraue Licht noch nicht, das die Sonne jetzt ihrem Aufgang vorausschickte. Oben im Dorf oder auf Rietis Hof krähten Hähne, es roch nach Tau und ein bisschen nach dem Rauch von Holzfeuern. Die Kälte der Steinplatten kroch in Massimos Fußsohlen und an seinen Beinen hinauf. Trotzdem blieb er sitzen. Ein Hund bellte, ungefähr zehn
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