Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)
sich verändert, klang auf einmal brüchiger.
«Du hast ja recht, papà. Passt es dir, wenn ich morgen komme?»
«Aber nicht, weil ich dir gerade was vorjammere!» Jetzt klang er wieder kräftig.
«Natürlich nicht. Ich rufe dich an, weil ich genau das fragen wollte. Und ich habe auch einen Wunsch: Könntest du cappone in agrodolce machen? Ich hab das seit Monaten nicht mehr gegessen, und niemand, wirklich niemand, macht es so gut wie du!»
«Übertreib’s nicht!»
«Aber es ist die Wahrheit!»
«Noch was?»
«Ich muss mit dir reden.»
«Aber erst nach dem Essen! Sonst brauchst du gar nicht zu kommen.»
«Abgemacht.»
«Dann bis morgen. Um acht?»
«Ja, um acht.»
«Dormi bene!» Der alte Guerrini beendete das Gespräch, ohne auf den Gruß seines Sohnes zu warten.
Er ist gekränkt, dachte Guerrini. Er empfand Mitgefühl, und gleichzeitig stieg Ärger in ihm auf. Was erwartete sein Vater eigentlich? Dass er als Commissario einfach darüber hinwegsah, wenn Fernando seine Keramikmadonnen seit Jahrzehnten mit Hilfe des Conte Colalto und der Camorra in die USA exportierte? Und dabei nicht einmal ansatzweise Schuldgefühle zeigte, sondern seinem Sohn noch erklärte, dass er nicht schlecht davon gelebt hätte, als Kind und Jugendlicher und als Student?
Guerrini füllte sein Glas zum vierten Mal und schaltete den Fernseher ein, weil er das dringende Bedürfnis nach Ablenkung hatte. Eine Stunde lang verfolgte er die Talkshow «Ballerò» und die wilden Wortgefechte zwischen Politikern und Gewerkschaftsbossen. Zweimal mischte er sich selbst lautstark ein, und beim dritten Mal stellte er fest, dass er sich ziemlich angetrunken fühlte. Als er endlich den Fernseher ausschaltete, dachte er an Laura. Er sehnte sich so heftig nach ihrer Berührung, dass er die Augen schließen musste. Er sehnte sich nach ihrer Art, die Nase in die Mulde an seinem Halsansatz zu stecken und genussvoll seinen Körpergeruch einzuatmen, sehnte sich danach, ihre Hand auf seinem Bauch zu spüren, und danach, wie sie seinen Penis umfasste.
Welche Traumanummer hatte Laura? Nummer drei, wenn er sich nicht täuschte. Er könnte genau jetzt versuchen, Trauma Nummer drei anzurufen. Aber vermutlich war es keine gute Idee, weil er zu betrunken war. Er würde lauter Blödsinn reden, und Trauma Nummer drei könnte noch größer werden.
Langsam wankte Guerrini in sein Schlafzimmer, ließ sich aufs Bett fallen und schlief sofort ein.
Unterdessen saß Laura ebenfalls vor dem Fernseher in ihrer sehr leeren Wohnung. Sie hatte sich doch entschlossen, zu Hause zu übernachten. Vielleicht meldete sich der anonyme Anrufer ein zweites Mal, oder Angelo rief auf ihrem Festnetztelefon an. Er tat es nicht. Dafür meldeten sich Luca und Sofia auf ihrem Handy und waren sehr besorgt um ihre Mutter. Laura beruhigte sie und betonte immer wieder, dass sie Kriminalkommissarin sei und mit solchen Situationen vertraut. Wie immer half das nur wenig.
Kurz vor Mitternacht gab Laura das Warten auf Angelos Anruf auf, überprüfte das Sicherheitsschloss ihrer Wohnungstür, putzte die Zähne und ging zu Bett.
Morgen rufe ich ihn an, dachte sie. Morgen beende ich dieses dumme Spiel. Wenn er krank wäre, dann hätte Tommasini mich verständigt. Es ist nur ein dummes Spiel, nichts anderes. Ihr Versuch, sich selbst zu überzeugen, funktionierte nicht. Sie rollte sich zusammen, rund um die leichten Magenschmerzen, die sie auf einmal spürte, und stellte sich auf eine schlaflose Nacht ein.
Irgendwann war sie wohl weggedämmert, denn als sie aufwachte, hatte sie Mühe herauszufinden, ob sie noch in einem Traum gefangen war oder ob tatsächlich jemand versuchte, ihre Wohnungstür aufzubrechen. Ganz deutlich hatte sie noch das Geräusch von splitterndem Holz im Ohr, ihren langen Hausflur mit den Bücherregalen vor Augen und den Spalt in der Tür. Aber das war Unsinn, denn von ihrem Schlafzimmer aus konnte sie weder Flur noch Wohnungstür sehen. Es musste also ein Traum gewesen sein.
Langsam richtete sie sich auf und lauschte. In der Wohnung war es völlig still, nur der Wecker auf dem Tischchen neben ihrem Bett tickte leise vor sich hin. Von weit her tönte ein Martinshorn. Zwanzig nach zwei. Laura knipste ihre Leselampe an, stand auf und war gerade auf dem Weg zur Schlafzimmertür, als grell und lang die Türklingel ertönte, so unerwartet und laut, dass sie zusammenzuckte und ihr Herz zu rasen begann. Auch, als die Klingel ein zweites Mal durch die Wohnung gellte, zuckte sie
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