Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)
halber.
«Nicht gut allein!» Ibrahim Özmer gab nicht auf.
«Wollen Sie einen Tee oder Kaffee?», fragte Laura, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. «Gleich kommen übrigens Kollegen von der Polizei.»
«Kein Kaffee, wir schlafen. Morgen arbeiten.» Die beiden in ihren bunten Bademänteln lächelten, winkten und kehrten in ihre Wohnung zurück. Erst jetzt wurde Laura bewusst, dass sie die ganze Zeit im Schlafanzug vor ihren Nachbarn gestanden hatte. Einem nicht ganz züchtigen Schlafanzug, jedenfalls für türkische Augen. Sie hoffte, dass dies nicht zu einer Verstimmung führen würde. Laura mochte ihre Nachbarn sehr und wusste, dass sie deren Toleranz schon öfters auf eine harte Probe gestellt hatte. Außerdem war sie Ibrahim Özmer wirklich sehr dankbar für sein mutiges Eingreifen.
Schnell schlüpfte Laura in Jeans und Pullover; sie wollte nicht auch noch die Kollegen im Schlafanzug empfangen.
Eine halbe Stunde später stellte sich heraus, dass die Fahndung nach dem Unbekannten im Sande verlaufen war. Das Schloss der Haustür war fachmännisch geknackt worden, und Lauras Kollegen wollten wissen, ob sie irgendeinen Verdacht hätte oder ob es Drohungen gegen sie gäbe. Laura verneinte beides, berief sich auf mögliche Racheakte, mit denen Polizeibeamte immer rechnen müssten, vor allem Kripobeamte und OK-Ermittler.
Sie solle auf sich aufpassen, rieten die Polizisten, ehe sie wieder abrückten.
Am nächsten Morgen fuhr Laura ins Gefängnis Stadelheim und ließ den Untersuchungshäftling Anton Reitberger in den Verhörraum bringen. Sie wollte den Mann sehen, der Peter Baumann so zugerichtet und den Tod eines ihm Unbekannten verursacht hatte. Außerdem interessierte sie sich für seine Tätigkeit bei einer Sicherheitsfirma, von der Baumann ihr erzählt hatte.
Während sie auf Reitberger wartete, dachte sie über den Zwischenfall der vergangenen Nacht nach und die Konsequenzen, die sich daraus ergaben. Sofia musste woanders untergebracht werden, jedenfalls solange nicht klar war, wer hinter dem anonymen Anruf und der nächtlichen Bedrohung steckte. Luca würde sowieso in ein paar Tagen aus der Gefahrenzone verschwinden, da seine Klassenfahrt nach Prag bevorstand. Das fiel Laura erst jetzt wieder ein. Seit Luca bei seinem Vater wohnte, wusste sie nicht mehr so genau wie früher, was bei ihm wann anstand.
Das größere Problem stellte Patrick dar, der junge Ire, den Sofia so sehnlich erwartete. Unter den derzeitigen Umständen durfte Patrick auf keinen Fall nach München kommen, was wiederum bedeutete, dass Sofias Welt zusammenbrechen würde …
Lauras Gedanken wurden vom Erscheinen eines freundlichen älteren Vollzugsbeamten unterbrochen, der den Häftling Reitberger ankündigte und eine Seitentür öffnete. Es dauerte noch eine halbe Minute, dann trat ein drahtiger, erstaunlich kleiner Mann ein, gefolgt von einem zweiten Beamten. Den Kopf leicht gesenkt und zwischen die Schultern gezogen, schaute er sich in dem kahlen Raum um, wirkte verlegen. Er trug Handschellen, stolperte einmal, und wurde von den beiden Beamten zu einem Stuhl geführt, der Laura gegenüber auf der anderen Seite des Tisches stand. Sein dunkles Haar war kurz geschnitten, rechts sehr präzise gescheitelt, und sein Gesicht hatte mit der spitzen Nase und kleinen, runden Augen etwas Mausartiges.
«Bitte nehmen Sie dem Herrn Reitberger die Handschellen ab», sagte Laura.
«Der Mann wird der fahrlässigen Tötung und des Angriffs auf einen Kommissar der Kripo verdächtigt, Frau Kriminalhauptkommissarin …» Der jüngere der beiden Bewacher wandte sich kopfschüttelnd zu Laura um.
«Ich weiß. Nehmen Sie ihm trotzdem die Handfesseln ab.»
«Wenn Sie unbedingt wollen …»
«Ja, unbedingt. Ich möchte mich mit Herrn Reitberger unterhalten, und das geht nicht besonders gut, wenn er Handschellen trägt.»
Laura konnte dem Beamten die Antwort, die er jetzt eigentlich geben wollte, vom Gesicht ablesen: Zum Reden braucht man keine Hände! Sie zog die Augenbrauen hoch, der Beamte seufzte und tat, was Laura von ihm verlangte. Dann stellte er sich neben die Tür und ließ Reitberger nicht aus den Augen. Sein Kollege verließ den Raum, kündigte aber an, draußen zu warten.
Reitberger rieb unterdessen seine Handgelenke auf eine Weise, als hätte er es so im Kino gesehen.
«Danke, Frau Kommissarin!», sagte er, die K’s so kehlig aussprechend, wie es nur Tiroler können.
«Man hat Sie vermutlich über die Folgen Ihrer Aktion in dem
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