Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)
wieder zusammen.
Wenn jemand klingelt, dann bedeutet das, er steht noch draußen vor der Wohnung, dachte sie und versuchte, Herz und Atem unter Kontrolle zu bringen.
Die Schlafzimmertür war nur angelehnt. Leise drückte Laura sie ganz auf und schlich auf den Flur hinaus. Der Schein ihrer Leselampe tauchte kaum den Anfang des langen Gangs in sanften Dämmer, das letzte Stück zur Wohnungstür lag im Dunkeln, und Laura wollte kein Licht einschalten. Als sie die Tür fast erreicht hatte, klingelte es ein drittes Mal. Es schrillte so nah, dass Laura meinte, körperlich von dem Ton berührt zu werden. Sie stellte sich seitlich neben die Tür und beugte sich zum Spion hinüber. Im Treppenhaus war es stockdunkel. Entweder hatte dort niemand Licht gemacht, oder etwas verwehrte ihr den Blick durch das kleine Guckloch. Die dritte Möglichkeit: Derjenige, der sie aus dem Schlaf geschreckt hatte, stand unten vor der Haustür. Ein Betrunkener vielleicht oder jemand, der sich einen schlechten Scherz erlaubte.
Beinahe fühlte sie sich erleichtert, aber dann nahm sie ein kaum hörbares Geräusch wahr, das von draußen zu kommen schien. Sie legte das rechte Ohr an die Tür und wusste im nächsten Augenblick, dass im dunklen Treppenhaus jemand genau vor ihrer Wohnungstür stand und ziemlich laut atmete. Offensichtlich war der Unbekannte die sechsundachtzig Stufen in den vierten Stock schnell hochgelaufen und hatte nicht gewartet, bis sein Atem sich wieder beruhigte.
Laura beschloss, Kollegen zu rufen, die den Unbekannten vor dem Haus in Empfang nehmen sollten, warf zuvor aber noch einen letzten Blick durch den Spion – gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie die Tür ihrer türkischen Nachbarn langsam aufging. Gleich darauf begann draußen ein wildes Durcheinander. Laura entsicherte ihr Schloss, riss die Tür auf, und es gelang ihr im letzten Augenblick, Ibrahim Özmer festzuhalten, den der Unbekannte gerade die Treppe hinabstoßen wollte. Laura versetzte dem Angreifer einen kräftigen Schlag auf den Unterarm und trat blitzschnell zur Seite, als er zurückprügeln wollte, sodass er von seinem eigenen Schwung mitgenommen wurde und nun seinerseits über die ersten Stufen einen Treppenabsatz tiefer stürzte. Er rappelte sich wieder auf und rannte.
Laura rannte ebenfalls: zurück zum Diensthandy. Sie verständigte die Einsatzzentrale, damit sie mehrere Streifenwagen losschickte, die den Flüchtenden vielleicht irgendwo in der Nähe aufgreifen konnten. Beschreibung? Ja, wie hatte er ausgesehen? Vielleicht mittelgroß, dunkle Kleidung, Gesichtsmaske, kräftig. Alter? Keine Ahnung. Orangefarbene Turnschuhe mit schwarzen Streifen. Möglicherweise humpelt der Mann, weil er die Treppe hinabgestürzt ist.
Der Kollege in der Einsatzzentrale war mit Lauras Täterbeschreibung nicht besonders zufrieden, leitete die Fahndung aber sofort ein.
«Macht keinen Krach, sonst ist er weg!», sagte Laura.
«Wahrscheinlich ist er sowieso weg. Der wird ein Fahrzeug vor deinem Haus stehen haben. Vielleicht mit ’nem zweiten Täter, der auf ihn gewartet hat. Die Kollegen werden also auch die Autos überprüfen, die in deiner Gegend unterwegs sind. Und ich schick auch jemanden bei dir vorbei. Wie ist der denn bei dir ins Haus gekommen?»
«Keine Ahnung. Normalerweise ist die Haustür nachts abgeschlossen.»
«Na, die Kollegen sollen sich das mal ansehen. Servus!»
Noch einer, der Servus sagt, dachte Laura, öffnete ihr Schlafzimmerfenster und schaute auf die nächtliche Straße hinunter. Nichts bewegte sich, alles war so still und friedlich wie immer. Kurz darauf heulten in den Tiefen der Stadt mehrere Martinshörner auf, die schnell näher kamen.
«So viel zum Thema unauffällige Fahndung», murmelte Laura und schloss das Fenster.
Ibrahim Özmer und seine Frau hatten sich inzwischen in Lauras Flur vorgewagt und beinahe ihre Küchentür erreicht.
«Danke für halten fest!» Lauras Nachbar nickte heftig. Seine Frau Sefira drückte Laura fest an ihre großen weichen Brüste.
«Was passiert?» Özmer wirkte sehr besorgt. «Ich gehört Klingel. Nicht normal Klingel in Nacht!»
«Nein, nicht normal», bestätigte Laura.
«Wer ist Mann?»
«Ich weiß es nicht, Herr Özmer.»
«Schlecht Mann!»
«Sehr schlechter Mann.»
«Polizeiarbeit nicht gut für Frau!»
Laura überhörte diesen Satz und dankte Ibrahim Özmer für seine Wachsamkeit und die gute Nachbarschaft.
«Wo Kinder?», fragte Sefira.
«Beim Vater», antwortete Laura der Einfachheit
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