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Zeit der Sternschnuppen

Zeit der Sternschnuppen

Titel: Zeit der Sternschnuppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Ziergiebel
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Du kannst bei uns bleiben, auf Station vier habe ich noch ein Bett frei…«
Die Besucherin nestelte an ihrem Plastikbeutel, murmelte dabei: »Hans hatte recht, es ist doch schwieriger, als ich zuerst annahm. Man muß sich an das dreidimensionale Denken erst gewöhnen. Armer Mensch, wie bringe ich es dir nur bei?«
Nun, da der Professor überzeugt war, eine Patientin vor sich zu haben, nahm er den Zwischenfall mit der Routine des erfahrenen Mediziners zur Kenntnis. Eine Liebesaffäre mit tragischem Ausgang, auf beiden Seiten leichte Debilität. »So also sieht unsere kleine Roswitha aus«, sagte er in scherzhaftem Ton, »nun, das bringen wir schon wieder in Ordnung. Später dürft ihr euch dann auch mal sehen. Ich verstehe nur die Schlamperei in der Anmeldung nicht, lassen jeden durch.«
»Wer ist Roswitha?« erkundigte sich die Besucherin interessiert. »Ist sie eine von seinen Kebsweibern?«
»Kebsweiber ist gut«, meinte Grasmais belustigt. »Schluß jetzt damit. Die Oberschwester wird deine Personalien aufnehmen und dich in ein Zimmer einweisen. Dann wirst du schön gebadet und bekommst andere Wäsche. Wie kann man nur bei dieser Kälte in solchen Kleidern herumlaufen?« Er streckte die Hand nach dem Klingelknopf aus. »Und daß mir keine Zänkereien mit den anderen Frauen zu Ohren kommen…«
»Die Hand weg!«
Professor Grasmais wollte auf den Knopf drücken, um die Schwester zu rufen. Der Befehlston, in dem diese Aufforderung erfolgte, ließ ihn einen Augenblick zögern. In der gleichen Sekunde stieg eine kleine Rauchwolke auf. An der Stelle, wo sich der Klingelknopf befunden hatte, lag ein verkohlter Rest. Es stank nach verbranntem Kunststoff.
    Aul war entschlossen und zielbewußt auf die lange Reise gegangen, hatte sich auf alle erdenklichen Zwischenfälle vorbereitet. Gelassen sagte sie: »Ich bin weder Roswitha noch eine Ausländerin, die hier studiert. Was sollte ich von euch wohl lernen? Ich heiße Aul und komme von der ›Quil‹. Das wirst du heute noch begreifen. Was du soeben gesehen hast, nennen wir verdampfen. Möchtest du noch eine Probe davon, oder bringst du mich jetzt zu ihm?«
    Irritiert betrachtete der Professor den verkohlten Rest des Klingelknopfes. Es qualmte noch immer ein wenig. Er nahm eine Blumenvase und goß einige Tropfen Wasser auf die erhitzte Stelle. Grasmais lag es fern, zu glauben, seine Besucherin könnte dieses Malheur verursacht haben, er vermutete vielmehr einen Kurzschluß in der Leitung. »Das haben Sie aber gut beobachtet«, sagte er anerkennend, »die Klingel hatte schon immer einen Defekt. Schönen Dank, daß Sie mich rechtzeitig darauf aufmerksam gemacht haben. Ich werde jetzt Schwester Hildegard holen…« Er stand auf. Ein Warnruf Auls ließ ihn am Schreibtisch verharren.
    »Du bleibst hier. Ich bin Aul und komme von der ›Quil‹. Drei lange Wochen war ich unterwegs. Und nun betrachte das gräßliche Bild an der Wand. Es erinnert mich an den sechsten Mond, so pflegt Vater zu essen…«
    Der Professor betrachtete schmunzelnd sein Ölgemälde, doch das Lächeln erstarb ihm auf den Lippen, als das Bild plötzlich herunterfiel. Der Rahmen zerbarst krachend auf einer Stuhllehne, die Leinwand schlitzte auf. Im ersten Schreck brachte er kein Wort hervor, starrte fassungslos auf sein zerstörtes Ölgemälde. Dann fiel ihm auf, daß Aul an ihrem Plastikbeutel herumnestelte: eine Ahnung stieg in ihm auf. Kam dieses Mädchen nicht aus dem Orient, wo Magiertricks noch Tradition waren?
    Ihr unschuldiges Lächeln brachte ihn in Rage. »So ist das also«, schnob er erzürnt, »mit Taschenspielertricks willst du mich überzeugen! Du Luder bist wahrscheinlich vom Variete oder von einem Wanderzirkus. Aber für dich habe ich Beruhigungsmittel, so klein wirst du bei mir…« Grasmais deutete prophetisch mit Daumen und Zeigefinger Auls künftige Ausmaße an. »Und das Bild setze ich dir auf die Rechnung, das wirst du mir auf Heller und Pfennig bezahlen. Ein echter Heidemüller, ein Erbstück – na warte, du Luder…«
    »Was ist das, ein Luder?« erkundigte sich Aul interessiert. »Ruhe jetzt! Ich will kein Wort mehr von dir hören! Raus mit dir!« Er wollte auf Aul zueilen, doch maßlose Verblüffung malte sich auf seinem Gesicht, als er sich plötzlich allein im Zimmer befand. Der Sessel, in dem seine Besucherin eben noch gesessen hatte, war leer.
Verstört öffnete der Professor die Tür. Auf dem Korridor war kein Mensch zu sehen, überall tiefe Stille. »Langsam werde ich nun auch

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