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Zeit der Sternschnuppen

Zeit der Sternschnuppen

Titel: Zeit der Sternschnuppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Ziergiebel
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Geben Sie sich nicht der Hoffnung hin, mich überfahren zu können, für mich sind Sie durchsichtig wie Glas. Da Sie offenbar eine Schwäche für Hamlet haben, möchte ich Ihr Zitat von vorhin ergänzen. Erinnern Sie sich, es heißt dort nämlich etwas abgewandelt weiter: ›Zum Teufel, glauben Sie, daß ich leichter zu spielen bin als eine Flöte? Sie können mich zwar verstimmen, aber nicht auf mir spielen!‹«
    Ich verspürte ein leichtes Unwohlsein, hatte Verlangen nach frischer Luft.
    Sein Wort war Gesetz, und Gesetze wurden peinlich genau eingehalten. Ich erhielt Kaltwasserabreibungen und wurde mit einem scharfen Wasserstrahl vom Hals bis zum Zeh abgespritzt. Grasmais besaß für Wasserbehandlungen eine besondere Vorliebe, deshalb war es nicht verwunderlich, wenn ihn Pfleger und Patienten hinter der Hand »Plänscher-Paule« nannten. Die Behandlung war anstrengend, nach dem Abspritzen war ich jedesmal so erschöpft, daß ich den ganzen Nachmittag schlief.
    Nach meiner kläglich verlaufenen Offensive hatte ich mir vorgenommen ein Musterpatient zu werden. Auch autogenes Training wollte ich von nun an betreiben, begann schon ohne Anleitung damit, indem ich immer wieder bestimmte Sätze vor mich hin flüsterte, etwa: »Ich war nie auf dem sechsten Mond. Es gibt keine Aul und keinen Me. Es gibt auch kein Raumschiff, das den Jupiter umkreist…« Beinahe hätte ich auch noch geleugnet, daß es einen Jupiter gibt.
    Eines Abends machte ich mich nützlich, wollte zwei Knöpfe annähen. Vom Fenster aus konnte ich dabei einen Teil des wolkenlosen Abendhimmels überblicken. Ein Stern überstrahlte alles an Glanz und Helligkeit. Unfaßlich, noch vor wenigen Wochen dort gewesen zu sein. Für Me und Aul war der »Fall« Weyden jetzt wohl abgeschlossen. In einigen Monaten wollten sie aas Sonnensystem verlassen. Aul und ihr Vater würden sich für einige Epochen konservieren und die Episode am Rande einer Galaxis, »welche die Erdlinge Milchstraße nennen«, nach dem Wiedererwachen vergessen haben. So war es wohl am besten – auch für mich. Es mußte einmal ein Schlußstrich gezogen werden.
    Unversehens fiel mir ein Knopf hinunter. Er hätte vor meinen Füßen liegen müssen. Ich schaltete die Deckenbeleuchtung ein, suchte das ganze Zimmer ab, hob sogar, völlig konfus, die Matratze hoch. Vergebens, der Knopf war nicht zu sehen. »Intelligenz der Materie« – ich spürte bereits eine gewisse geistige Verwandtschaft mit dem Erfinder. Und wenn ich den Fußboden zentimeterweise absuchen müßte, ich werde ihn finden, schwor ich und kroch unters Bett.
    Während ich ächzend nach dem verschwundenen Knopf suchte, klopfte es. Jemand trat ein.

    »Unterm Bett schläft es sich nicht sonderlich bequem«, hörte ich Dr. Kaliweit sagen.
    Ich kroch hervor, klopfte den Staub vom Schlafanzug und erwiderte ungehalten: »Zu Ihrer Information, Herr Doktor, mir ist lediglich ein Knopf hinuntergefallen. Ist denn in diesem Hause alles verdächtig?«
    »Sie mißverstehen mich«, antwortete Kallweit belustigt, »ich finde es immer komisch, wenn jemand unters Bett kriecht. Noch immer nicht müde?«
    »Nein.«
    Er trat ans Fenster, blickte auf den Himmel und meinte schwärmerisch: »Jupiter ist fabelhaft zu sehen. Gestern habe ich ihn im Feldstecher betrachtet, konnte aber nur zwei Monde sehen. Wann geht eigentlich Saturn auf?«
    »Wahrscheinlich zusammen mit der Sonne, es interessiert mich nicht. Gucken Sie lieber nicht in die Sterne, Doktor, Sie sehen an mir, wohin das führen kann.«
    »Hingucken ist etwas anderes als hinfliegen.« Kallweit zog eine Zeitschrift aus der Tasche. »Ich habe für Sie etwas mitgebracht. Hier finden Sie auf Seite dreiundvierzig einen interessanten Artikel über Versuche, Gehirne von Affen zu lokalisieren. Es ist tatsächlich geglückt, ein Enzephalon etwa zehn Minuten funktionsfähig zu erhalten. Hauptproblem bleibt wohl die Durchblutung und die ungestörte Verbindung zwischen Telenzephalon und dem Mesenzephalon. Immerhin, zehn Minuten, ganz abwegig ist Ihre Vorstellung nicht…«
    »Doktor, ich möchte nichts mehr von alldem hören und lesen. Ich habe nur den Wunsch, so rasch wie möglich nach Hause zu kommen.«
    »Das verstehe ich«, sagte er. »Aber wenn Sie weiter solche wahnsinnigen Briefe schreiben, werden Sie den Chef kaum von Ihrer Gesundheit überzeugen.«
    Grasmais hatte ihn also eingeweiht. Warum auch nicht – jetzt war das alles nebensächlich geworden. Auf Lebzeiten konnte mich selbst der Professor nicht

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