Zeit der Sternschnuppen
hierbehalten.
»Wollen Sie Ihr Leben weiter in einer irrationalen Welt verbringen? Jetzt geben Sie auch mir einige Rätsel auf…«
»Was soll ich Ihnen darauf antworten?« sagte ich müde. »Ich kann Ihnen nur versprechen, daß für mich das Kapitel sechster Mond und alles, was damit zusammenhängt, abgeschlossen ist.«
»Menschenskind, dann packen Sie endlich aus!« rief der Doktor verstimmt. »Sagen Sie klipp und klar, wo Sie sich ein halbes Jahr verkrochen haben. Mal aufrichtig, wir sind unter uns, waren Sie eventuell in eine dunkle Sache verwickelt?«
Ich legte mich aufs Bett. »Lassen Sie mich mit Ihrem blödsinnigen Verdacht in Ruhe«, erwiderte ich barsch, »ich bin jetzt müde und möchte schlafen.«
Kallweit wandte sich zur Tür. Wenn ich mich derart stur stelle, könne auch er mir nicht helfen, klagte er vorwurfsvoll, ein solcher Fall sei ihm noch nicht vorgekommen. Ich schloß die Augen, dachte: Wann nimmt dieser Zirkus endlich einmal ein Ende? Alle wollen sie dir helfen, Johanna, der Professor, Kallweit. Immerhin kann ich mich nicht beklagen, im Mittelalter wäre man anders mit mir verfahren. Dabei war anfangs alles so einfach gewesen. Wäre es nicht zu dem Diebstahl gekommen, säße ich längst wieder im sechsten Mond. Jetzt kann mich nur noch Geduld und Ergebenheit oder ein Wunder ins normale Leben zurückbringen.
Ich ahnte nicht, daß sich in diesen Stunden eine Wendung meiner hoffnungslos verworrenen Lage anbahnte, daß diese Nacht die letzte für mich in diesem Hause sein sollte. Es gab noch »Wunder« in unserer rationalen Zeit. Die Laune und die Logik des Zufalls hielten mich noch immer an der Leine.
23
Professor Grasmais galt als Kapazität auf dem Gebiet der Psychiatrie. Aus seiner Feder stammte unter anderem das bekannte Werk »Reflexion des Unbewußten«, eine Arbeit, die ihn in allen Kulturstaaten bekannt gemacht hatte. Auf internationalen Tagungen war Grasmais ein oft und gern gesehener Gast. Verständlich, wenn seine Sprechstunden überlaufen waren, vor allem die in seiner Privatpraxis. Zwei Sekretärinnen überwachten und teilten seine kostbare Zeit ein.
Am fünften Tage meiner Kaltwasserabreibungen weilte Grasmais bis zum Mittag in der Klinik. Zweimal hatte ihn das Sekretariat seiner Privatpraxis angerufen; das Wartezimmer sei überfüllt. Der Professor beeilte sich, nach Hause zu kommen. Er zog den Wintermantel an, beauftragte telefonisch die Fahrbereitschaft, den Wagen vorfahren zu lassen, zündete sich die vierte Zigarre an und wollte aus dem Zimmer treten, als Schwester Hildegard aufgeregt eintrat. Vor der Tür warte eine fremde Dame, die sich nicht abweisen ließe. Die Schwester machte bei dieser Erklärung eine unmißverständliche Handbewegung zur Stirn.
Grasmais winkte ab. »Oberarzt Hauschild oder Doktor Kaliweit soll sich ihrer annehmen. Ich bin nicht mehr im Hause.«
»Das habe ich ihr schon klarzumachen versucht«, beteuerte Schwester Hildegard, »sie will nur mit Ihnen verhandeln, ja, verhandeln hat sie gesagt. Eine Ausländerin…«
In diesem Augenblick trat die angekündigte Besucherin unaufgefordert ein. Die Schwester zog sich zurück. Unwillig blickte Grasmais auf die fremdartig gekleidete junge Frau. Sie war wie eine Orientalin gekleidet, doch wirkte der grobe Stoff aus hellgrünem Leinen ärmlich. Er hing ihr unordentlich über der Schulter, darunter trug sie ein enganliegendes, schillerndes Trikot. Ihre Schuhe waren aus Bast geflochten, langes dunkles Haar lag locker über der eigenwilligen Kleidung. In der Rechten trug sie einen gelben Beutel aus Kunststoff.
Das fremdartige Äußere des ungebetenen Gastes fesselte den Professor zunächst ein wenig, ließ ihn vorübergehend seinen Ärger vergessen. »Ich habe nicht viel Zeit«, sagte er. »Was haben Sie auf dem Herzen?«
»Auch meine Zeit ist bemessen«, antwortete der Eindringling, »ich bin nach langem Flug vergangene Nacht angekommen. Mein Name ist Aul. Sagt er Ihnen etwas?«
»Angenehm«, antwortete Grasmais und stutzte. »Wie war Ihr werter Name?«
»Aul.«
Grasmais vergaß seine Zigarre. »Habe ich richtig gehört, Aul?«
»Allerdings.«
»Und woher kommen Sie?«
»Von der ›Quil‹.«
»Von der ›Quil‹, natürlich, sechster Mond…« Seine Verblüffung wandelte sich in lebhaftes Interesse. Während er der rätselhaften Besucherin einen Sessel anbot, gingen ihm zahlreiche Vermutungen durch den Kopf. Er vergaß sein überfülltes Wartezimmer, legte den Mantel ab und nahm hinter seinem Schreibtisch
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