Zeit der Sternschnuppen
wissen. Zwar war es dunkel, als wir die Klinik verließen, doch die Passanten, in warme Winterkleidung gehüllt, drehten sich nach uns um, machten ihre Bemerkungen über das seltsame Modebedürfnis der Ausländerin.
Aul war indes gar nicht so abgehärtet, wie es den Anschein hatte. Ihr schillerndes Trikot besaß regulierbare Wärmeeigenschaften, und ein Präparat, das sie zuvor eingenommen hatte, ließ sie die Kälte nicht spüren. Der grobe hellgrüne Leinenstoff, mit dem sie sich zusätzlich drapierte, war nichts weiter als der Vorhang vom sechsten Mond, der die beiden Stuben voneinander trennte. Zu meinem Unbehagen hatte sie nicht einmal die kitschigen Sterne vom Stoff entfernt.
Bis zu meiner Wohnung wären es mit dem Taxi nur wenige Minuten gewesen. Ich war entschlossen, nach Hause zu fahren, Johanna in alles einzuweihen, doch Aul weigerte sich kategorisch mitzukommen. Sie wollte auch nicht in der Stadt bleiben, behauptete, die Erde sei von einem ständigen Höllenlärm erfüllt und die Atemluft enthielte einen üblen, giftigen Beigeschmack. Ihre Klage war mir verständlich. Fast ihr ganzes Leben hatte Aul in der Grabesstille des Alls zugebracht; ihre Gehörnerven und Geruchsnerven reagierten auf feinste Nuancen. Nun war sie plötzlich dem Brummen der Autos, dem Dröhnen der Flugzeuge und anderen, uns gewohnten Geräuschen ausgesetzt. In der Stadt ratterten Dampframmen, kreischten Bagger und Preßluftbohrer, quietschten Straßenbahnen. Dazu kam der Gestank von Auspuffgasen und qualmenden Schornsteinen. Aul wollte zur Wiese zurück, die uns verbleibenden Stunden im Bauernhaus verbringen, das sie nach ihrer Ankunft schon besichtigt hatte. Dort, in irgendeinem Gebüsch, lagen auch einige Gepäckstücke von ihr.
»Sternschnuppchen, es ist unmöglich, in dieser Jahreszeit auf Manik Maya zu übernachten«, erklärte ich. »Laß uns in der Stadt ein Hotelzimmer mieten…« Als ich den Vorschlag machte, fiel mir ein, daß Aul keine Papiere besaß.
»Was wollte uns hindern, in diesem Bauernhaus, wie du es nennst, zu wohnen?« erkundigte sie sich.
»Der Winter. Das Haus ist ausgekühlt. Zweitens ist es jetzt dunkel, es wäre eine umständliche Reise, drittens habe ich kein Brennholz, viertens qualmt der Ofen, fünftens ist dort jetzt alles feucht, sechstens müßte man erst Schnee fegen…«
»Siebtens, achtens, neuntens«, unterbrach Aul meine Aufzählung. »Glaubst du, ich hätte nicht an alles gedacht? Wie kannst du mich nur für so dumm halten? Du wirst sehen, wir werden nicht frieren. Und den Schnee wird Fritzchen forträumen.«
Ich hatte Heißhunger auf ein Steak mit gerösteten Zwiebeln, wäre viel lieber mit ihr in ein Restaurant gegangen. Außerdem sann ich nach Möglichkeiten, den Abflugtermin zu verlängern, aber Aul beharrte auf ihrem Willen. Sie wäre am liebsten gleich zurückgeflogen. Es blieb mir nichts weiter übrig, als ein Taxi zu suchen. Als ich ihr von meinem knurrenden Magen erzählte, entnahm sie ihrem Plastikbeutel ein Konzentrat. »Auch daran habe ich gedacht. Freust du dich?«
»Ich bin überglücklich«, sagte ich und dachte an mein Steak. Aul konnte ich nicht wie Schwester Hildegard hinters Licht führen, ich mußte das Konzentrat schlucken. Endlich hielt auch ein Taxi. Fritzchen, noch immer im Wellental des Lichtes verborgen, drückte sich ungeschickt an den Rücksitz. Ich fühlte seinen Glaskopf unangenehm neben mir, schmiegte mich an Aul. Es wunderte mich, mit welcher Selbstverständlichkeit sie das ihr unbekannte Transportmittel benutzte. Nicht einmal eine Frage stellte sie.
Dafür wußte Aul von andern Dingen zu berichten. Ich erfuhr, daß ihr Vater auf dem besten Wege sei, das Porzellan zu erfinden, hörte von einer neuen Entdeckung im Sternbild der Jungfrau, wo sich die Materie enorm verdichtete, was auf die Bildung einer neuen Sonne schließen ließe. Zu allem Überfluß wußte auch der für den Fahrer nicht existente Fritzchen einige exakte Daten über diesen Vorgang zu nennen. Im Rückspiegel sah ich das mißtrauische Gesicht des Taxifahrers. Ich fürchtete, er könnte anhalten und uns hinauswerfen.
Noch unheimlicher mußten wir ihm erscheinen, als Aul erzählte, wie sie von der Wiese bis zu mir nach Hause und später in die Klinik gekommen war. Sie hatte sich gründlich auf diesen Besuch vorbereitet, wenn auch mancher Ratschlag ihres Vaters ein wenig antiquiert anmutete. Nach der Landung hatte Aul zunächst bis zum Morgengrauen gewartet, war dann einem Arbeiter begegnet, bei dem
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