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Zeit der Sternschnuppen

Zeit der Sternschnuppen

Titel: Zeit der Sternschnuppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Ziergiebel
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sein, mit so elementarer Wucht, daß es wie ein Tropengewitter über mich hereinbrach. Irgendwo unter den zahllosen Sternen eine kleine gelbe Scheibe, die Sonne, umkreist von einem blitzenden Staubkorn…
    Ich schloß die Augen, aber die Lichter der Myriaden Sterne leuchteten in mir weiter. Sehen, denken, erkennen, leuchtende chaotische Materie ferner Welten, werdendes Leben und Tod – nie zuvor hatte ich mich so stark als ein Teil des unendlichen Weltenraumes gefühlt, nie so bewußt die Erde als meine Heimat empfunden. Die letzte Nacht auf Manik Maya fiel mir ein, Heins Beweise für die Eroberung des Alls. Wie nahe war er der Wahrheit gekommen. Ich wollte meine Gefühle versachlichen, meinen Weg durch Raum und Zeit nüchtern, ohne Sentiment beurteilen, doch tausend Empfindungen erschütterten meine bescheidene Vorstellungswelt. Ich sog das Bild um mich mit den staunenden Augen des unschuldigen Adam auf, der von der verbotenen Frucht genascht hatte.
    Lange stand ich versunken, in zweispaltige Gedanken verstrickt, vor dem Bordfenster. Bebend verspürte ich auf einmal, wie Aul meine Schulter berührte. Ich blickte sie an, aber ihr Gesicht verschwamm vor meinen Augen. Wir gingen nach nebenan, setzten uns auf die Liege. Waldi lief zurück, schnüffelte in der Steuerzentrale herum, knurrte die Roboter an. Sie nahmen von dem Dackel keine Notiz, obwohl er sogar an ihnen hochsprang. Schließlich hörten wir ihn auf jaulen; einer der Roboter hatte ihm auf die Pfote getreten.
    Aul holte Waldi zurück und streichelte ihn. Nach einer Weile sagte sie unvermittelt: »Ich ahne deine Gedanken, obwohl sie mir fremd sind. In mir ist keine Erinnerung an die Erde, denn ich war nicht ganz zwei Jahre alt, als wir sie verlassen mußten. Mir ist der Planet nur als physikalische Größe ein Begriff… Jemand hat mir gesagt, daß die Erde so schön sein soll, daß man sie einst sogar den Mittelpunkt der Welt nannte. Ist es wahr, daß man sie nicht vergessen kann?«
    Was für eine Frage? Gab es die Erde überhaupt noch? Nach Auls eigenen Worten befanden wir uns ganz in ihrer Nähe, aber selbst die Sonne war aus dieser Entfernung zu einem Stern unter Sternen geworden. Erde und Mond dem Auge unsichtbare Staubkörner. Wie kam Me, dieser unsichtbare Halbgott, dazu, mich hierher zu verschleppen? Was hatte er mit mir vor? Unvorstellbar der Gedanke, vielleicht niemals wieder einen Himmel über mir zu sehen. Wie ein fernes Echo klang ihre Frage in mir nach. Ich sagte versonnen: »Es ist unmöglich, seine Heimat zu vergessen.«
    »Also würdest du dich immer nach ihr zurücksehnen?« »Ja.«
»Vielleicht ist alles nur Gewohnheit… Wenn du dich hier erst
    eingelebt hast und das Neue begreifst…«
»Nein«, unterbrach ich sie, »ich kann nicht für immer hier
bleiben.«
Es folgte ein tiefer Atemzug. »Schade, daß du so denkst. Ich
möchte zu gern wissen, was dich so sehr an die Erde fesselt. Es
wäre schön, wenn ich euern Planeten einmal betreten könnte.
Ich möchte mir das Leben dort einmal ansehen.«
Wer dort leben will, braucht ein Einreisevisum, dachte ich.
»Aul, willst du dich nicht etwas klarer verständlich machen?
Du warst also bis zu deinem zweiten Lebensjahr auf der Erde.
Vermutlich haben sie dich ähnlich wie mich hierhergeschafft.
Aber wer hat dir von der Erde erzählt? Waren es die Roboter?« Meine Vermutung entlockte ihr ein Lächeln. »Die Kleinen
sind nicht fähig, zwischen schön und häßlich zu unterscheiden
– es sei denn…« Sie schwieg. Ihr Gesicht war plötzlich ernst
geworden.
»Es sei denn – was, Aul?«
»Es gibt Möglichkeiten, ihren Reife- und Intelligenzgrad zu
verändern – aber das ist absurd… Was ich von der Erde weiß,
hat mir jemand erzählt, den du in wenigen Augenblicken
kennenlernen wirst. Er kennt die Erde wie du, denn er hat mehr
als fünfzig Jahre auf ihr verbracht. Jetzt lebt sie in seiner
Erinnerung weiter…«
»Wer ist dieser Jemand?« fragte ich verwundert.
»Mein Vater«, sagte sie. »Wir kamen zusammen hierher.
Inzwischen hat er eine neue Heimat gefunden und sich angepaßt. Ich glaube, er ist ganz glücklich hier. Seine Erde ist der sechste Jupitermond. Seit zehn Umkreisungen wartet er auf uns, brennt darauf, dich willkommen zu heißen.«
    Seltsame, verworrene Welt, endlose Kette von Zusammenhängen, die wir zurückverfolgen, bis ein Entwirren nicht mehr möglich ist und der Zufall die Kausalität ersetzen muß. Wie tief wir auch immer in die Geheimnisse der Natur einzudringen vermögen, ein

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