Zeit der Sternschnuppen
Waldi unterbrochen. Sie lauschte, blickte unentwegt auf eine Stelle an der Wand, wo sich plötzlich in rascher Folge leuchtende Zeichen abbildeten und wieder verschwanden. Auf ihren Lippen lag wieder das sympathische Lächeln, als sie sagte: »In wenigen Sekunden werden wir uns vom Raumschiff lösen und mit dem Transporter zum sechsten Mond fliegen.«
Was löst sich von dem Raumschiff, dachte ich, bin ich denn nicht an Bord? Ich wollte noch etwas Wichtiges wissen, bevor die Reise zum sechsten Mond losging, fragte hastig: »Wie alt bist du eigentlich, Aul?«
Sie antwortete: »Oh, schon sehr alt. Umgerechnet müssen es fast sechzig Lichtjahre sein. Mein genaues Geburtsdatum kennt niemand.«
»Was soll das heißen? Lichtjahre sind Entfernungsmaßstäbe.
Ich möchte wissen, wie viele irdische Jahre du alt bist.« »Entschuldige«, sagte sie, »ich muß mich an die Umstellung
erst gewöhnen – hier wird das Alter nach den zurückgelegten
Zeiteinheiten berechnet. Nach Erdenjahren bin ich vielleicht
neunzehn oder zwanzig… Kennst du meine Heimat Babylon?« »Nein«, sagte ich, »nur ein wenig aus der Literatur, aber eine
Reise dorthin konnte ich mir nie leisten…« Mir lag noch eine
Bemerkung auf den Lippen, doch ein feines Summen brachte
mich zum Schweigen. Das Geräusch war mir vertraut. Es war,
als stünde ich auf der Wiese bei Manik Maya.
»Jetzt lösen wir uns von der ›Quil‹«, sagte Aul.
8
Was sich von der »Quil« löste, war nicht zu erkennen, denn vorübergehend erlosch das Licht. Waldi fing an zu piepsen, sprang an mir hoch, winselte, als stünde der Weltuntergang bevor. Ich nahm ihn auf den Arm, fühlte mich in kreatürlicher Furcht mit ihm verbunden.
Nach allem, was ich bis jetzt gesehen und gehört hatte, war ich auf alles gefaßt. Was immer auch geschehen mochte, ich mußte mich in allem fügen; der Prahlhans hatte den Sprung gewagt, das Schwimmbecken erwies sich als ein Ozean, dessen Wellen mich in uferlose Fernen trugen.
Ein allmählich heller werdender Lichtschimmer durchbrach das Dunkel. Der Kuppelraum öffnete sich, gab den Blick zur Steuerzentrale des Transporters frei. An einer dunklen Wand leuchteten farbige Lichtpunkte und Lichtkurven auf. Pendelnde Zeiger und unbegreifliche Apparaturen erweckten einen vagen Vergleich mit einem irdischen Laboratorium. Vor dieser Wand entdeckte ich meine drei kleinen »Freunde« von der Wiese wieder. Roboter – jetzt wurde mir ihre Beschaffenheit mit beschämender Deutlichkeit bewußt. Mit eckigen Bewegungen kontrollierten sie die Reaktionen der Meßgeräte, ähnelten mit ihren Glasköpfen Schaufensterpuppen. Und diesen elektronischen Mechanismen hatte ich meine Armbanduhr geschenkt! Für sie war ich ein Ding gewesen, das sich aus Impulsen zusammengesetzt hatte. Jetzt nahmen sie weder von mir noch von Aul Notiz.
Aul bat mich in einen kleinen Seitenraum, wo sich ein ovales Fenster befand, das ein Panorama der Außenwelt freigab. Zum ersten Male konnte ich erkennen, daß wir wirklich flogen. Seitlich von uns ein Schatten, an einigen Stellen von grellem Licht durchbrochen. Es war das Raumschiff mit dem eigentümlichen Namen »Quil«, von dem wir uns gelöst hatten. Eine merkwürdige Form besaß dieses Sternenschiff; es sah aus wie ein gewaltiges Hufeisen. Richtantennen und Spiegel waren zu erkennen, unter dem Hufeisen mehrere flache Gebilde, die wie Tropfen aussahen. Sie ähnelten dem Raumtransporter, in den ich eingestiegen war und in dem ich mich vermutlich auch jetzt noch befand.
Unsere Geschwindigkeit mußte enorm sein, denn die »Quil« wurde zusehends kleiner, war bald zu einem Punkt zusammengeschmolzen und sah aus wie ein schwachleuchtender Stern. Dafür tauchten andere Gebilde auf, hellgraue Kugeln von unterschiedlicher Größe – Monde des Jupiters, der selbst nicht im Blickfeld lag. Hoch über uns das glänzende Band der Milchstraße. Wie oft hatte ich von der Erde aus verträumt zu ihr hinaufgeschaut, war in Gedanken zu fernen Welten aufgestiegen. Alle Dämonen und Kobolde schienen in diesen Minuten um mich zu tanzen und im Chor zu rufen: »Du bist dort, wohin du immer wolltest, deine wahnwitzigen Phantasieorgien sind Wirklichkeit geworden…«
Alles, was mir Aul erzählt hatte, war eine Sache der Vernunft, der Logik gewesen. Es war mir wie ein Abstraktum erschienen, das meine Gefühlswelt nicht erreichte. Erst während dieses Fluges, angesichts des hautnahen Universums durchdrang mich die Erkenntnis, wirklich und unwiderruflich im All zu
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