Zeit der Sternschnuppen
günstige Gelegenheit, die ganze Erde auszulöschen, sie zu verdampfen, wie ihr es nennt. Er könnte auch die Erdatmosphäre beeinflussen, um die Menschheit in gefügige, ferngesteuerte Kreaturen zu verwandeln. Wie rührend, daß er sich für dich verantwortlich fühlt. Das ist ganz natürlich. Aul, Versuchstiere behandelt man pfleglich.«
Je mehr ich redete, desto mehr steigerte ich mich in eine Ekstase, die mich jedes Maß an Vorsicht und Takt vergessen ließ. Die Aussicht, für immer auf dem sechsten Jupitermond bleiben zu müssen, erschien mir wie eine Todeserklärung, verbunden mit einer Beerdigung.
Allein meine Enttäuschung war nicht die einzige Ursache meiner Erregung. Ich fühlte mich krank. Zu den rasenden Kopfschmerzen kamen noch heftige Krämpfe in der Magengegend. Aul hatte mit ihrer Warnung recht behalten, ich hätte mich langsam an feste Nahrung gewöhnen müssen. Meine schlechte körperliche Verfassung steigerte meine Gereiztheit. Ich brauchte einen Schuldigen, den ich anklagen konnte; was lag näher, als meinen Zorn auf den unsichtbaren Übermenschen Me zu richten? Er hatte mich schließlich in diese Situation gebracht.
Die Kleine hatte mich in einer solchen Verfassung noch nicht kennengelernt. Sie saß auf der Bank, auf ihrem bleichen Gesicht lag ein Ausdruck von Furcht und Entsetzen. Es rührte mich nicht – im Gegenteil, endlich konnte ich ihr zeigen, daß ich mich nicht willenlos mit allem abfand. Ich war meiner Rolle als gezwungener Liebhaber längst überdrüssig. Wütend fuhr ich fort: »Kein Ziel kann so erhaben, so groß sein, daß es unlautere Mittel zu seiner Verwirklichung rechtfertigt – daran habe ich einmal geglaubt. Jetzt sehe ich, was für ein Idiot ich war. Ich war überzeugt, daß sich mit einer höheren Zivilisation auch eine tiefere, größere Humanität verbinden müsse. Hier wurde ich eines Besseren belehrt.
Aus dem Triangel-Nebel kommt dein verehrter Me? Wann war er eigentlich das letzte Mal zu Hause? Wahrscheinlich existiert sein Heimatplanet gar nicht mehr. Er streift mit seinem Superraumschiff durchs Weltall, heute hier, morgen dort – eine Art Weltraumzigeuner. Ist dir der Widerspruch in seinem Denken und Handeln nicht aufgefallen? Was soll der Unsinn, er könne sich angeblich nicht für deine Sicherheit verbürgen, wenn du auf der Erde lebtest? Was ist auf der Erde unsicher? Milliarden Menschen leben dort, dumme und gescheite, einerlei, mit diesem Mond würde keiner tauschen wollen. Aber vielleicht hat dein weiser Me etwas entdeckt? Ich bin überzeugt, daß er das Leben auf der Erde beobachten kann. Ist wieder einmal irgendwo ein Krieg ausgebrochen? Möglich wäre es. Machthunger – diesen Trieb gab es nicht nur zu Zeiten deines Vaters. Er ist noch heute auf der Erde verbreitet. Ist das ein stichhaltiger Grund, dich nicht zurückzulassen? Kannst du das glauben?
Du weißt es selbst, Aul, die Menschen haben das Reich der vollkommenen Gerechtigkeit und des ewigen Friedens noch nicht errichtet. Aus tiefster Überzeugung sage ich dir: So dornenvoll der Weg zu diesem Ziel auch sein mag, es wird keine Utopie bleiben. Darum will ich kein Refugium außerhalb der Erde. Begreife doch, Mädchen, die Sterilität des sechsten Mondes ist ein lebendig Begrabensein. Kein Säugetier könnte sich auf die Dauer hier einleben. In einem hat dein Me allerdings recht. Auf der Erde muß man sich das Leben jeden Tag neu verdienen; Hölle und Himmel sind dicht beieinander. Stinkender Aussatz und Träume bis zu den Sternen werden auf ihr geboren. Aber glaubt euer geheimnisvoller Kommandant der ›Quil‹, wir würden jammern und klagen und verzweifeln, weil noch nicht alles so geworden ist, wie es die Besten erträumten und verkündeten? Einmal wird es anders werden, es bricht die Zeit an, da menschlicher Geist nicht mehr für die Zerstörung denkt und arbeitet… Sternschnuppe, ich will zurück, um jeden Preis. In jedem von uns sind Tränen und Verzweiflung und die Träume und Hoffnungen vergangener Generationen. Dein Me soll wissen: Die Menschen werden einst wie er zu den Sternen fliegen. Und jetzt spreche ich wie ein Prophet: Wir werden dann nicht zusehen, wenn faschistoide Horden das Leben eines ganzen Planeten bedrohen. Wir werden uns nicht hinter einem Planeten verstecken, sondern den Besten unsere Macht und unser Wissen leihen…«
Ich setzte mich erschöpft neben Aul. Trotz der immer heftiger werdenden Schmerzen nahm ich ihre Hand und sagte leise und eindringlich: »Aul, Kleines, du
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