Zeit der Sternschnuppen
Aufmerksam lauschte sie dem Disput der gelehrten Glasköpfe.
Mir gefiel meine Rolle als Patient nicht, zumal ich keine Schmerzen mehr verspürte. Mich störte vor allem das geheimnisvolle Tuscheln. Vergeblich bat ich Aul um eine Übersetzung. Sie blieb schweigsam, als hätte sie den Eid des Hippokrates geleistet. Waren am Ende meine abenteuerlichen Fluchtpläne und Anklagereden daran schuld? Obwohl Aul neben mir saß, hatte ich das Empfinden, meilenweit von ihr entfernt zu sein. Ich richtete mich ein wenig auf. »Ich bin kein Kind, Aul, dürfte ich jetzt endlich erfahren, worüber debattiert wird? Ich habe es nicht gern, wenn man in einer fremden Sprache über mich redet…«
Sie drückte mich sanft zurück. »Man untersucht dich. Es wurde C 2 H 5 OH in deinem Blut festgestellt. Das kommt vom Wein…«
Na und, dachte ich, was geht das die Glasköpfe an? Ich bin ein freier Mensch, habe meinen eigenen Willen… Wahrscheinlich habe ich nichts weiter als einen Kater. Me sollte Rollmöpse und saure Heringe herschaffen lassen…
Die Debatte wurde immer heftiger geführt. Es hörte sich an, als stritten sie. Dann wurde es mit einem Male still. Der Sprecher der Rosafarbenen ergriff das Wort. Es hörte sich an wie das Röcheln einer sterbenden Krähe. Kaum hatte er geendet, als wieder lautstarkes Palaver einsetzte. Dann ergriff der Wortführer der Roten das Wort. Er piepste wie eine erschrockene Maus. Als er schwieg, folgte erneut ein hitziges Redegefecht. Alle zwölf beteiligten sich daran.
Mir riß die Geduld. »Zum Teufel«, schrie ich wütend, »euer Gequassel geht mir auf die Nerven! Das ist rücksichtslos. Ich will jetzt endlich wissen, worüber gesprochen wird. Schaff mich weg, Aul, oder befiehl ihnen zu verschwinden.« Ich versuchte aufzustehen, es war unmöglich. Das Kraftfeld hielt mich weich und fest in seinem Bett.
»Pssst«, machte Aul wieder. Es mußte wohl sehr spannend sein, was sie sich gegenseitig zuriefen. Deutlich war zu sehen und auch zu hören, daß sich die beiden Gruppen uneinig waren. Ihre Stimmen wurden immer lauter und hektischer, ihre Gesten waren drohend. Einige hatten bereits leichtgerötete Glasköpfe.
Endlich wurde auch Aul des Gezeters überdrüssig. Sie gebot ihnen zu schweigen. Augenblicklich trat Ruhe ein. Sie wandte sich an mich: »Es ist zu einem wissenschaftlichen Streit gekommen, den nur du klären kannst. Bei der Durchleuchtung deines Körpers wurden in deiner Gallenblase drei weiße geschliffene Steine festgestellt. Sie waren die Ursache deiner Schmerzen und wohl auch deiner Erregung.
Nun vertritt die Gruppe der Empiriker in den roten Trikots die Auffassung, daß sich diese Steine durch falsche Ernährung gebildet haben, folglich Fremdkörper darstellen, die entfernt werden müssen. Dagegen vertreten die Scholastiker in den rosafarbenen Trikots die Ansicht, daß sich die Menschen solche Steine künstlich einsetzen, aus Eitelkeit, um den Körper auch von innen zu verschönern. Kannst du darüber Aufklärung geben?«
Es wurde so still, daß ich mein Herz klopfen hörte. Wäre ich nicht selbst der Patient gewesen, hätte ich über die kuriose Theorie der Rosafarbenen herzlich gelacht. Gallensteine als Schmuck – schon vor Jahren hatte ich nach dem Genuß von Hülsenfrüchten solche Schmerzen gehabt. Kein Zweifel, die Steine mußten die Ursache sein. Die schreckliche Drohung einer bevorstehenden Operation trieb mir den Angstschweiß auf die Stirn. »Fremdkörper entfernen« – als wenn es sich um einen Holzsplitter im Finger handelte »Weißt du es nicht?« erkundigte sich Aul. »Hast du wieder Schmerzen?«
Der Gedanke, sie könnten mir den Bauch aufschneiden und mich womöglich zwingen, eine Sonde zu schlucken, um den Gallensaft zu untersuchen, ließ mich schaudern. Ich war entschlossen, keinen Eingriff zu dulden, richtete mich aus meinem Nichts ein wenig auf und sagte unwirsch: »Sag den Roten, daß sie recht haben. Die Menschen sind zwar eitel, aber doch nicht so blöd, daß sie sich auch noch von innen schmücken. Nicht einmal eine Auster täte so etwas freiwillig, obwohl ihre Perle viel wertvoller ist als meine Steine, die nur aus Kalk oder Cholesterin bestehen. Sage ihnen auch, daß ich die Steine behalten will, meinetwegen aus Eitelkeit. Es soll sich niemand unterfangen, mir mit einem Skalpell oder einem Schlauch zu nahe zu kommen…«
Aul stutzte bei meinen letzten Worten, sah mich einen Moment verwundert an. Dann übersetzte sie meine Erklärung. Bei den Gelehrten im
Weitere Kostenlose Bücher