Zeit der Sternschnuppen
meinen Auftrag herausbekam, fing er an zu zetern. »Wie kannst du solche Befehle erteilen? Der Wein hat deinen Geist verwirrt, dein Sklave ist gescheiter als du…«
Ich kam nicht mehr zu Wort, und Fritzchen konnte mit der Übersetzung kaum nachkommen. Rutscht mir doch alle den Buckel ‘runter, dachte ich und torkelte hinaus.
Im Garten scharrten die Hühner. Ich verscheuchte sie und legte mich aufs Gras. Waldi sprang auf mich zu, wollte mit mir spielen. »Verschwinde, Dackel!« rief ich. »Du bist hier der Zerstörer, hast beinahe den Mond aus seiner Umlaufbahn gebracht. In spätestens acht Tagen fliegen wir zurück, dann kannst du wieder mit deinem Herrchen Spazierengehen…« Ich fühlte mich müde und erschöpft. Der Wein und das Essen bekamen mir nicht, die Bratkartoffeln lagen wie Steine im Magen. Nie wieder, schwor ich mir, auch von dem Wein keinen Tropfen mehr…
Lange konnte ich nicht geschlafen haben, denn es war noch immer hell, als mich ein markerschütternder Schrei aufweckte. Noch etwas benommen, lauschte ich. In Waldis Bellen mischte sich ein schmerzerfülltes Klagen. Es kam aus der Töpferwerkstatt. Der Ofen, durchzuckte es mich, er war betrunken, wird sich verbrannt haben oder Schlimmeres. Ich sprang auf.
Ein seltsames Bild bot sich mir in der Werkstatt. Zuerst glaubte ich an einen Spaß. Der Alte kniete vor seiner Töpferscheibe wie vor einem Altar und gab dabei undefinierbare Laute von sich. Der Anblick war so erbarmungswürdig und komisch zugleich, daß ich an mich halten mußte, um nicht laut aufzulachen. Erst als ich näher trat, erkannte ich, was geschehen war. In seiner Trunkenheit hatte er versucht, einen neuen Krug zu formen. Dabei war sein langer Bart an die rotierende Welle geraten, die seine Manneszierde wie ein Seil aufspulte. Der Schmerz hatte den Alten vom Hocker gerissen. Unfähig, sich zu rühren, preßte er sein tonverschmiertes Gesicht auf die Scheibe und wimmerte vor sich hin. Es sah aus, als verrichte er ein Gebet. Fritzchen stand teilnahmslos in der Nähe – ihm war das sonderbare Benehmen unverständlich.
Ich drehte das Rad vorsichtig zurück und befreite ihn aus seiner mißlichen Lage. Fritzchens Übersetzungen blieben nur Bruchstücke einer Kette von Flüchen und Verwünschungen, für die es in meiner Sprache keine adäquaten Vokabeln gab. »Höllenschlund… Monddreck im Quadrat gemistet… Mögen mich die Hyänen fressen und meine Eingeweide ins Weltall schleudern…«
Seine entsetzlichen Flüche verstummten, als er das abgefranste Ende des grauen, von Ton verklebten Bartes betrachtete. Die Tränen kamen ihm. Er tat mir leid. »Der Bart wird nachwachsen, Väterchen«, versuchte ich, ihn zu trösten.
»Ein größeres Unglück ist mir seit Jahrhunderten nicht widerfahren«, lamentierte er, »einen solchen Bart besaß nicht einmal der Oberpriester Khan-allur-ab. Betrachte diese Schweinerei, wenigstens fünfzehn Zentimeter sind abgerissen. Oh, ich Unglücklicher, o Nergal, Marduk und Nepul!«
»Hier fehlen Arbeitsschutzbestimmungen«, erklärte ich, »du solltest den Bart künftig über die Schulter hängen. Jetzt bleibt nur eins, ich werde die Fransen unten glattschneiden, dann sieht er aus wie vordem.«
»Der Fluch meiner Vorväter hat mich ereilt«, rief er klagend, »niemals wird er wieder so prächtig aussehen. Versuche es, mein Sohn, ich füge mich dem unbarmherzigen Schicksal. Sei aber vorsichtig, rette, was zu retten ist…«
Fritz half mir bei der Operation. Jammernd sah der Alte zu, wie ich den störrischen Bart durch einen Messerformschnitt zu verschönern suchte.
»Das Schicksal meint es mitunter hart«, ächzte er, nachdem der erste Schock überwunden war.
»Ich finde, dein Bart sieht jetzt besser aus als vordem. Er ist jetzt moderner.«
»Sagst du das im Ernst?«
»Ganz im Ernst, Vater. Die Proportionen wirken jetzt harmonischer. Es macht dich jünger. Bedenke: einen Bart einfach wachsen lassen, das kann jeder. Die Kunst besteht ja gerade darin, ihn auf die richtige Länge zu stutzen. Das ist jetzt gelungen.«
Er schielte auf die Bartspitze. »Glaubst du? Ich bin gespannt, was mein Töchterchen sagen wird.«
Mich interessierte sein Bart schon nicht mehr, mein schlechtes Gewissen meldete sich. Ich sagte zu Fritz: »Sag dem Vater, daß mir die Sache mit den Töpfen leid täte. Ich möchte dir auch sagen, daß es klug von dir war, sie nicht zu zerschlagen…«
Der Alte nahm meine Entschuldigung wohlwollend zur Kenntnis. Er klopfte mir auf die Schulter. »Ab
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