Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane
sagte er lachend. »Lallybroch ist größer.«
»Aber … das hier ist höher «, gab sie zurück. So war es – ganze vier Stockwerke und ein gewaltiges Schieferdach mit grünen Kupferrinnen, gewiss mehr als zwanzig Glasfenster und …
Sie versuchte immer noch, die Fenster zu zählen, als Michael ihr aus der Kutsche half und ihr den Arm hinhielt, um zur Eingangstür zu gehen. Gerade betrachtete sie mit großen Augen die Eiben, die in Messingkübeln standen, und fragte sich, wie viel Arbeit es wohl war, diese Kübel zu polieren, als sie plötzlich spürte, wie der Arm unter ihrer Hand erstarrte.
Verblüfft sah sie Michael an, dann folgte sie seiner Blickrichtung – zu seiner Haustür. Die Tür war aufgeschwungen, und drei Personen kamen lächelnd, winkend und lauthals rufend die Marmortreppe herunter.
»Wer ist das?«, flüsterte Joan zu Michael hinübergebeugt. Der kleinere Herr mit der gestreiften Schürze musste ein Butler sein; sie hatte schon von Butlern gelesen. Doch der andere war ein feiner Herr, herausgeputzt wie ein Baum im Frühling mit einem Rock und einer Weste mit gelben und rosa Streifen und einem Hut mit einer … nun, es musste wohl eine Feder sein, aber sie hätte zu gern den Vogel gesehen, von dem sie stammte. Die Frau dagegen fiel kaum auf; sie war in Schwarz gekleidet. Doch jetzt sah sie, dass Michael nur Augen für die Frau hatte.
»Li…«, begann er und schluckte das Wort herunter. »L…Léonie. Ihr Name ist Léonie. Die Schwester meiner Frau.«
Jetzt schaute sie genauer hin, denn seinem Aussehen nach hatte Michael Murray gerade den Geist seiner Frau gesehen. Doch Léonie schien aus Fleisch und Blut zu sein, schlank und hübsch, und ihr Gesicht war von dem gleichen Schmerz gezeichnet wie das von Michael. Sie lugte blass unter einem kleinen, adretten Dreispitz mit einer geringelten blauen Feder hervor.
»Michel«, sagte sie. »Oh Michel!« Und während ihr das Wasser in die mandelförmigen Augen stieg, warf sie sich in seine Arme.
Joan, die sich plötzlich extrem überflüssig vorkam, trat einen Schritt zurück und sah den Mann mit der gelb gestreiften Weste an – der Butler hatte sich taktvoll ins Haus zurückgezogen.
»Charles Pépin, Mademoiselle«, sagte er und zog mit einer ausladenden Bewegung den Hut. Er nahm ihre Hand, um sich darüber zu beugen, und jetzt sah sie die schwarze Trauerbinde an seinem hellen Ärmel. » À votre service .«
»Oh«, sagte sie ein wenig verlegen. »Ähm. Joan MacKimmie. Je suis … äh …«
Sag ihm, er soll es nicht tun , sagte eine plötzliche, leise, ruhige Stimme in ihrem Kopf, und sie entriss ihm ihre Hand, als hätte er sie gebissen.
»Freut mich, Euch kennenzulernen«, keuchte sie. »Entschuldigt mich.« Wandte sich ab und übergab sich in einen der Eibenkübel.
JOAN HATTE ZWAR BEFÜRCHTET, dass sie sich befangen fühlen würde, wenn sie Michaels leeres Trauerhaus betrat, doch sie war darauf gefasst gewesen, Trost und Hilfe zu spenden, wie es sich für eine entfernte Verwandte und eine Tochter Gottes geziemte. Stattdessen stellte sie pikiert fest, dass man ihr nicht nur alles abnahm, was Trost und Hilfe betraf, sondern sie sogar auf die bedeutungslose Rolle eines Gastes reduzierte, den man hin und wieder fragte, ob er noch Wein wünschte, etwas Schinken, ein paar Gürkchen, den man ansonsten aber ignorierte. Michaels Dienstboten, seine Schwägerin und … Sie war sich nicht ganz sicher, was Monsieur Pépins Position betraf, doch er schien irgendetwas mit Léonie zu tun zu haben; hatte vielleicht jemand gesagt, er sei ihr Vetter? Sie alle umschmeichelten Michael warm wie parfümiertes Badewasser, küssten ihn hier – schön, sie hatte ja davon gehört, dass sich die Männer in Frankreich küssten, doch sie konnte nicht verhindern, dass sie M. Pépin anstarrte, als er Michael feucht auf beide Wangen küsste – und verhätschelten ihn dort.
Allerdings war sie mehr als erleichtert, sich über ein gelegentliches schlichtes merci oder s’il vous plaît hinaus nicht auf Französisch unterhalten zu müssen. So war es ihr möglich, ihre Nerven und ihren Magen zu beruhigen – sie musste sagen, dass der Wein hier Wunder wirkte – und Monsieur Charles Pépin genau im Auge zu behalten.
»Sag ihm, er soll es nicht tun.« Und was bitte schön meinst du damit?, wollte sie von der Stimme wissen. Sie bekam keine Antwort, was sie nicht überraschte. Die Stimmen waren keine großen Freunde von Details.
Sie konnte nicht sagen, ob die Stimmen
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