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Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Titel: Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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atmete, so flach er konnte und passierte den Rand des Friedhofs vorsichtig im Strahl einer Blendlaterne. Die Mine lag weit dahinter, doch der Gestank wurde erstaunlich weit getragen, wenn der Wind von Osten kam.
    Die Kalkmine war seit Jahren verlassen; es hieß, dass es dort spukte. Das stimmte. Rakoczy wusste auch, worin der Spuk bestand. Obwohl er kein religiöser Mensch war – er war Philosoph und Naturwissenschaftler, also Rationalist –, bekreuzigte er sich automatisch am Kopf des Leiterschachts, der in diese geisterhafte Tiefe hinunterführte.
    Immerhin würde das Gerede von Gespenstern, Erd-Dämonen und lebenden Toten verhindern, dass jemand kam, um einen Blick auf das seltsame Licht zu werfen, das aus den unterirdischen Tunneln drang, falls es überhaupt jemandem auffiel. Für den Fall jedoch … Er öffnete den Jutesack, der immer noch nach den Ratten roch, und fischte ein Bündel Pechfackeln heraus und das in Ölseide gewickelte Päckchen mit den Stoffstreifen, die mit Salpeter, Pottasche, blauem Vitriol, Grünspan, Antimonbutter und einigen anderen interessanten Substanzen aus seinem Laboratorium getränkt waren.
    Er fand das blaue Vitriol mithilfe seiner Nase und wickelte den Stoff fest um den Kopf einer Fackel, dann ließ er drei weitere Tücher – ein jedes mit einem anderen Salz imprägniert – folgen. Er liebte diesen Teil der Vorbereitungen. Es war so simpel und gleichzeitig so erstaunlich schön.
    Er hielt eine Minute inne, um zu lauschen, doch es war längst dunkel, und die einzigen Geräusche waren die Klänge der Nacht – das Trillern und Grölen der Frösche in den Sümpfen neben dem Friedhof, der Wind, der das Frühlingslaub bewegte. Eine halbe Meile entfernt standen ein paar baufällige Unterkünfte, doch nur aus einer davon drang dumpfer Feuerschein durch den Rauchabzug im Dach.
    Eigentlich fast schade, dass niemand hier ist und das sehen kann . Er holte den kleinen tönernen Kohletopf aus seiner Umhüllung und berührte die in Stoff gewickelte Fackel mit einer Kohle. Ein grünes Flämmchen zuckte wie eine Schlangenzunge und explodierte dann in einer gleißenden Kugel von gespenstischer Farbe.
    Er grinste bei diesem Anblick, doch er hatte keine Zeit zu verlieren; die Fackeln würden nicht ewig reichen, und er hatte zu tun. Er band sich den Beutel an den Gürtel und stieg mit dem grünen Feuer, das sacht in seiner Hand knisterte, in die Dunkelheit hinunter.
    Unten blieb er stehen und holte tief Luft. Die Luft war rein, der Staub hatte sich lange gelegt. Niemand war in letzter Zeit hier unten gewesen. Die stumpfen weißen Wände leuchteten sanft und geisterhaft in dem grünen Licht, und der Tunnel vor ihm gähnte so schwarz wie die Seele eines Mörders. Trotz seiner guten Ortskenntnis und des Lichtes in seiner Hand durchlief ihn ein Schauer, als er ihn betrat.
    Ob so der Tod ist?, fragte er sich. Eine schwarze Leere, in die man eintrat, in der Hand nichts als ein schwaches Glimmern der Zuversicht? Er presste die Lippen aufeinander. Nun, das hatte er ja schon öfter getan, wenn auch weniger permanent. Doch es gefiel ihm nicht, wie der Gedanke an den Tod im Moment ständig in seinem Hinterkopf zu lauern schien.
    Der Haupttunnel war so breit, dass zwei Männer darin nebeneinander hergehen konnten, und die Decke war so hoch, dass der grob freigelegte Kalk im Schatten lag, kaum berührt von seiner Fackel. Doch die Seitentunnel waren schmaler. Er zählte die Abzweigungen zur Linken und ging unwillkürlich ein wenig schneller, als er die vierte passierte. Dort lag es , den Seitentunnel entlang, dann links, dann noch einmal links – nannten die Engländer das »widdershins«, wenn man sich der Richtung der Sonne entgegenbewegte? Er meinte jedenfalls, dass Mélisande es so genannt hatte, als sie ihn hierhergebracht hatte …
    Der sechste. Seine Fackel hatte bereits zu zucken begonnen, und er zog eine andere aus dem Beutel und entzündete sie an den Überresten der ersten, die er am Eingang des Seitentunnels zu Boden fallen ließ, wo sie flackerte und schmorte, während sich der Rauch in seiner Kehle fing. Zwar kannte er den Weg, doch trotzdem war es gut, Wegmarken zu hinterlassen, hier im Reich der ewigen Nacht. In der Tiefe der Mine gab es Kammern, eine ganz weit hinten, deren Wände mit seltsamen Gemälden verziert waren, von Tieren, die zwar nicht existierten, die aber eine erstaunliche Lebensnähe besaßen, als wollten sie von den Wänden springen und durch die Tunnel galoppieren. Manchmal –

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