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Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Titel: Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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gesagt?«, rief sie. »Habt ihr denn gar keine Erklärung für mich?« Da hatte sie die Stimmen doch tatsächlich für Engelsstimmen gehalten, doch das waren sie nicht – nur dahintreibende Nebelfetzen im Sumpf, die sich in ihren Kopf schlichen, zwecklos, nutzlos … genauso nutzlos wie sie selbst, oh Herr Jesus …
    Sie wusste nicht, wie lange sie dort kniete, nackt, halb betrunken, tränenüberströmt. Sie hörte die unterdrückten Laute der Bestürzung, als die französischen Dienstmädchen die Köpfe zur Tür hineinsteckten und sie genauso schnell wieder zurückzogen, doch sie beachtete sie nicht. Sie wusste ja nicht einmal, ob es recht war, für den armen jungen Mann zu beten – denn Selbstmord war eine Todsünde, und gewiss würde er geradewegs zur Hölle fahren. Doch sie konnte ihn nicht aufgeben, konnte es nicht. Sie hatte das Gefühl, dass er ihr irgendwie anvertraut gewesen war, dass sie ihn achtlos hatte fallen lassen. Gott konnte den jungen Mann bestimmt nicht allein zur Verantwortung ziehen, wo sie es doch war, die auf ihn hätte aufpassen sollen?
    Und so betete sie mit aller Kraft von Körper, Geist und Seele, betete um Gnade. Gnade für den jungen Mann, den kleinen Ronnie und den alten Angus – Gnade für den armen Michael und für die Seelen Lillies, seiner geliebten Frau, und ihres ungeborenen Kindes. Und um Gnade für sich selbst, diese unwürdige Botin göttlichen Willens.
    »Ich werde mich bessern!«, versprach sie schluchzend und wischte sich die Nase an dem flauschigen Handtuch ab. »Ganz bestimmt. Ich werde mutiger sein. Bestimmt.«
    MICHAEL NAHM DEM Bediensteten den Kerzenleuchter ab, sagte gute Nacht und schloss die Tür. Er hoffte, dass Schwester Joan gut untergebracht war; er hatte die Anweisung erteilt, ihr das große Gästezimmer zu geben. Er war sich hinreichend sicher, dass sie gut schlafen würde. Er schmunzelte ironisch; da sie keinen Wein gewohnt war und Gesellschaft sie offensichtlich nervös machte, hatte sie fast eine ganze Karaffe Sherry aus Jerez leer genippt, bevor er etwas gemerkt hatte. Als er ihr dann wieder einen Blick zuwarf, hatte sie mit verlorenem Gesichtsausdruck und einem kleinen, nach innen gekehrten Lächeln in der Ecke gesessen, das ihn an ein Gemälde erinnerte, das er in Versailles gesehen hatte, ein Bild, das der Saaldiener La Gioconda genannt hatte.
    In einem solchen Zustand konnte er sie wohl kaum im Konvent abliefern, und er hatte sie sanft die Treppe hinaufgeführt und sie den Kammerzofen überlassen, die sie voller Argwohn betrachtet hatten, als sei eine beschwipste Nonne etwas ganz besonders Gefährliches.
    Auch er hatte im Lauf des Nachmittags einiges getrunken und beim Abendessen noch mehr. Er und Charles waren noch lange aufgeblieben, hatten sich unterhalten und später zusätzlich Rumpunsch getrunken. Sie hatten über nichts Besonderes geredet; er hatte nur einfach nicht allein sein wollen. Charles hatte vorgeschlagen, einen Spielsalon aufzusuchen – Charles war ein unverbesserlicher Glücksspieler –, doch er hatte die Güte besessen, seine Ablehnung zu akzeptieren und ihm einfach nur Gesellschaft zu leisten.
    Die Kerzenflamme verschwamm bei diesem Gedanken an Charles und seine Freundlichkeit. Er kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf, was sich als Fehler erwies; sein Innenleben verrutschte abrupt, und sein Magen meldete Protest gegen die plötzliche Bewegung an. Er schaffte es gerade noch bis zum Nachttopf, und als er sich entleert hatte, lag er betäubt am Boden, die Wange an die kalten Dielen gepresst.
    Es war nicht so, dass er nicht aufstehen und zu Bett gehen konnte. Es war so, dass er den Gedanken an die kalten weißen Laken nicht ertragen konnte, an die Kissen, so glatt und rund, als hätte Lillies Kopf sie niemals eingedrückt, als sei das Bett niemals von ihrem Körper gewärmt worden.
    Tränen rannen ihm über den Nasenflügel und tropften auf den Boden. Er hörte ein Schnüffelgeräusch, und Plonplon wand sich unter dem Bett hervor und leckte ihm aufgeregt winselnd das Gesicht. Nach einiger Zeit setzte er sich hin, lehnte sich an die Seite des Bettes, den Hund im Arm, und griff nach der Portweinkaraffe, die der Butler – auf seine Anweisung – auf den Nachttisch gestellt hatte.
    DER GESTANK WAR WIDERLICH. Rakoczy hatte sich einen Wollschal um die untere Gesichtshälfte gewickelt, doch der Geruch drang hindurch und setzte sich faulig in seiner Kehle fest, so dass es auch nicht half, wenn er durch den Mund atmete. Doch er

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