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Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Titel: Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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verstummt. In diesem Licht schienen die Spiegelbilder der heimgleitenden Boote mehr Substanz zu haben als die Boote selbst.
    Er war über den Brief überrascht gewesen und fragte sich, ob dieser wohl der Grund für Joans Verstörung war. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass die Frau seines Onkels etwas mit dem Convent des Anges zu tun gehabt hatte – obwohl er sich jetzt, wenn er zurückdachte, erinnerte, dass Jared erwähnt hatte, dass Onkel Jamie kurze Zeit in der Weinhandlung in Paris gearbeitet hatte, damals vor dem Aufstand. Vermutlich hatte Claire Mutter Hildegarde damals kennengelernt … doch das war alles vor seiner Geburt gewesen.
    Er empfand eine seltsame Wärme bei dem Gedanken an Claire; eigentlich sah er sie kaum als seine Tante, obwohl sie das war. Er hatte in Lallybroch nicht viel Zeit allein mit ihr verbracht – doch er konnte den Moment nicht vergessen, als sie ihn allein an der Tür empfangen hatte. Ihn kurz begrüßt und dann impulsiv umarmt hatte. Und er hatte sich auf der Stelle erleichtert gefühlt, als hätte sie ihm eine schwere Last vom Herzen genommen. Oder einen Abszess an seiner Seele geöffnet, so wie sie es mit einer Beule an seinem Hintern tun würde.
    Bei diesem Gedanken musste er lächeln. Er wusste nicht, was sie war – das Gerede um Lallybroch beschrieb sie als alles Mögliche, von der Hexe bis zum Engel, doch die meisten hatten sich vorsichtig auf eine »Fee« geeinigt – denn das Alte Volk war gefährlich, und man redete nicht zu viel darüber –, doch er mochte sie gern. Auch Pa und sein Bruder Ian mochten sie, und das war viel wert. Und Onkel Jamie natürlich … obwohl alle ganz ernsthaft sagten, Onkel Jamie sei verhext. Er lächelte ironisch. Aye, man war verhext, wenn man seine Frau liebte wie verrückt.
    Wenn irgendjemand außerhalb der Familie gewusst hätte, was sie ihnen gesagt hatte – er schnitt diesen Gedanken ab. Es war nichts, was er je vergessen würde, doch es war auch nichts, worüber er genau jetzt nachdenken wollte. Die Rinnsteine von Paris mit Blut gefüllt … Unwillkürlich senkte er den Blick, doch die Rinnsteine waren mit der üblichen Mischung aus tierischen und menschlichen Fäkalien, toten Ratten und Abfällen gefüllt, die zu sehr vergammelt waren, als dass selbst die Bettler sie noch hätten essen mögen.
    Er erhob sich und ging weiter. Langsam durchschritt er die belebten Straßen, vorbei an La Chapelle und dem Montmartre. Wenn er lange genug spazieren ging, konnte er manchmal ohne allzu viel Wein einschlafen.
    Seufzend schob er sich mit den Ellbogen durch eine Gruppe von Straßenmusikern vor einem Wirtshaus und wandte sich dann wieder der Avenue Trémoulins zu. Manchmal war sein Kopf wie ein Brombeergebüsch, dessen Dornen nach ihm fassten, ganz gleich, wohin er sich wendete, und es führte kein Weg aus dem Gewirr hinaus.
    Paris war zwar keine große Stadt, aber eine komplizierte; man konnte immer einen anderen Weg nehmen. Er überquerte die Place de la Concorde, dachte an das, was die Frau seines Onkels ihnen erzählt hatte, und sah im Geiste den Schatten einer Schreckensmaschine vor sich.
    JOAN HATTE MIT MUTTER HILDEGARDE zu Abend gespeist, einer Dame, die so betagt und heilig war, dass Joan Angst davor gehabt hatte, zu heftig zu atmen, damit Mutter Hildegarde nicht vor ihren Augen zerbröselte wie ein altes Croissant und geradewegs gen Himmel fuhr. Doch Mutter Hildegarde war entzückt über den Brief gewesen, den ihr Joan überbrachte; er ließ ihr Gesicht schwach erröten.
    »Von meiner – äh …« Martha, Maria und Lazarus, was war das französische Wort für Stiefmutter? »Äh … der Frau meines …« Verflixt, das Wort für Stiefvater kannte sie auch nicht. »Der Frau meines Vaters«, schloss sie schwach.
    »Du bist die Tochter meiner guten Freundin Claire!«, hatte die Ordensmutter ausgerufen. »Und wie geht es ihr?«
    »Gut, äh … bon , meine ich, als ich sie zuletzt gesehen habe«, sagte Joan und versuchte sich dann an einer Erklärung. Doch es wurde sehr schnell sehr viel Französisch geredet, und sie gab auf und nahm das Glas Wein an, das Mutter Hildegarde ihr anbot. Sie würde noch zur Säuferin werden, lange bevor sie ihr Gelübde ablegte, dachte sie und versuchte, ihre Röte zu verbergen, indem sie sich bückte, um Hildegardes kleinen Hund zu streicheln, ein wuscheliges, freundliches Tier von der Farbe gebrannten Zuckers, das Bouton hieß.
    Ob es nun der Wein war oder Mutter Hildegardes Güte, ihre Zaghaftigkeit verschwand.

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