Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane
doch nicht zugleich am selben Ort sein.« Das hätte spöttisch klingen sollen, tat es aber nicht. Es klang ernst, wie die Verlautbarung eines wissenschaftlichen Prinzips, und Rakoczy fand es beunruhigend.
»Seid Ihr hier, weil Ihr mich gesucht habt?«, fragte er unverblümt. Er bewegte sich ein wenig, um den Mann besser sehen zu können. Er war sich beinahe sicher, dass der Frosch jünger aussah als bei ihrem letzten Zusammentreffen. Sein wallendes Haar war auf jeden Fall dunkler, und war sein Gang nicht schwungvoller? Erregung simmerte in seiner Brust.
»Euch?« Im ersten Moment sah der Frosch belustigt aus, doch dann verschwand dieser Ausdruck. »Nein. Ich bin auf der Suche nach einer verlorenen Tochter.«
Rakoczy war überrascht.
»Nach der Euren?«
»Mehr oder weniger.« Raymond schien kein Interesse an weiteren Erklärungen zu haben. Er trat ein wenig zur Seite und kniff die Augen zusammen, während er versuchte, Rakoczys Gesicht in der Dunkelheit auszumachen. »Dann könnt Ihr also Steine hören, ja?«
»Ich – was?«
Raymond wies kopfnickend auf die Fassade der Kathedrale. »Sie sprechen tatsächlich. Sie bewegen sich auch, aber nur sehr langsam, wie man es erwarten würde.«
Eiseskälte fuhr Rakoczy über den Rücken, als er an die Wasserspeier dachte, die hoch über ihm hockten, und an die Vorstellung, einer davon könnte jeden Moment beschließen, seine stummen Flügel auszubreiten und sich auf ihn hinunterzustürzen, die Zähne immer noch blutrünstig und spottend gebleckt. Unwillkürlich hob er den Blick und sah hinter sich.
»So schnell doch nicht.« Der belustigte Unterton in der Stimme des Froschs war wieder da. »Man würde es niemals sehen. Sie brauchen Jahrtausende, um sich den Bruchteil eines Zentimeters zu bewegen – es sei denn, sie werden beschleunigt oder geschmolzen. Aber das ist natürlich ein Anblick, den man sich besser erspart. Viel zu gefährlich.«
Es schien frivol, so etwas zu sagen, und Rakoczy fühlte sich dadurch beunruhigt, aber nicht verärgert. Besorgt, als hätten die Worte eine tiefere Bedeutung, etwas, das er wissen wollte – und gleichzeitig um keinen Preis erfahren wollte. Dieses Gefühl war ihm neu, und es war unangenehm.
Er ließ alle Vorsicht fahren und wollte geradeheraus wissen: »Warum habt Ihr mich im Sternengemach damals nicht umgebracht?«
Raymond grinste ihn an; er konnte Zähne aufblitzen sehen, und wieder durchfuhr es ihn: Er war sich sicher – so gut wie sicher –, dass der Frosch bei ihrer letzten Begegnung keine Zähne gehabt hatte.
»Wenn ich Euren Tod gewünscht hätte, mein Sohn, dann wärt Ihr jetzt nicht hier und würdet nicht mit mir sprechen«, sagte er. »Ich wollte Euch aus dem Weg haben, das ist alles; Ihr wart so freundlich, den Wink zu verstehen und Paris zu verlassen.«
»Und warum genau wolltet Ihr mich ›aus dem Weg haben‹?« Hätte Rakoczy das nicht so unbedingt wissen wollen, hätte er sich am Ton des Mannes gestört.
Der Frosch zog die Schultern hoch.
»Ihr wurdet zur Bedrohung für die Dame.«
Aus schierem Erstaunen richtete sich Rakoczy zu voller Größe auf.
»Die Dame? Ihr meint diese Frau – La Dame Blanche?«
»So hat man sie genannt.« Der Frosch schien diese Vorstellung amüsant zu finden.
Es lag Rakoczy auf der Zunge, Raymond zu sagen, dass La Dame Blanche noch am Leben war, doch er war selbst nicht so lange am Leben geblieben, weil er alles herumposaunte, was er wusste – und er wollte nicht, dass Raymond glaubte, er könnte immer noch eine Bedrohung für sie sein.
»Was ist das ultimative Ziel eines Alchemisten?«, sagte der Frosch sehr ernst.
»Materie zu transformieren«, erwiderte Rakoczy ohne Zögern.
Das Gesicht des Froschs verzog sich zu einem breiten Amphibiengrinsen.
»Exakt!«, sagte er. Und verschwand.
Er war verschwunden. Keine Rauchwölkchen, kein Illusionistenzauber, kein Schwefelgeruch … Der Frosch war einfach nicht mehr da. Der Platz lag leer unter dem sternenhellen Himmel; das Einzige, was sich bewegte, war eine Katze, die miauend aus dem Schatten huschte und an Rakoczys Bein vorüberstrich.
RAKOCZY WAR NACH DIESER Begegnung so aufgewühlt – und so erregt –, dass er umherwanderte, ohne zu wissen, wohin, Brücken überquerte, ohne es zu merken, sich im Gewirr der Straßen und Allées de Rive Gauche verlief und erst nach Hause kam, als es schon fast dämmerte. Seine Füße waren wund; er war erschöpft, doch in seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken.
Jünger. Er war sich
Weitere Kostenlose Bücher