Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane
dauerte einen Moment, bis Léonie den Namen erkannte, doch dann entspannten sich ihre Schultern ein wenig.
»Oh.« Sie hob eine Hand an ihre Brust und brachte ein schwaches Lächeln zuwege. »Michaels Cousine. Natürlich. Ich habe Euch … äh … wie schön, Euch zu sehen!« Ihre Stirn kräuselte sich sacht. »Seid Ihr … allein?«
»Nein«, sagte Joan hastig. »Und ich kann mich nicht aufhalten. Ich habe Euch nur gesehen, und ich wollte Euch fragen …« Jetzt kam es ihr noch schwachsinniger vor als vor einem Moment, doch es musste sein. »Würdet Ihr Monsieur Murray sagen, dass ich mit ihm sprechen muss? Ich muss ihm etwas … etwas Wichtiges sagen.«
» Soeur Gregory ?«, hallte Schwester Georges dröhnende Stimme durch den schrillen Lärm des Marktes, und Joan fuhr zusammen. Sie konnte die großen weißen Segel auf Schwester Mathildes Kopf sehen, die sich vergeblich suchend hin und her drehten.
»Ich muss gehen«, sagte sie zu der erstaunten Léonie. »Bitte. Bitte sagt es ihm!« Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und das nicht nur wegen der plötzlichen Begegnung. Ihr Blick war auf Léonies Korb gefallen, wo sie eine braune Glasflasche aufglitzern sah, halb verborgen unter einem dicken Bündel, das sogar Joan erkannte: Christrosen. Hübsche kelchförmige Blüten von gespenstisch grünweißer Farbe – und tödliches Gift.
Sie hastete zurück über den Markt und traf atemlos und entschuldigend an Schwester Mathildes Seite ein, während sie sich fragte, ob … Sie hatte kaum Zeit mit Pas Frau verbracht – doch sie hatte gehört, wie sie sich mit Pa unterhielt, während sie Rezepte in ein Büchlein schrieb, und sie hatte Christrosen als etwas erwähnt, das Frauen benutzten, um eine Fehlgeburt herbeizuführen. Wenn Léonie schwanger war … Heilige Mutter Gottes, konnte sie von Michael schwanger sein? Der Gedanke traf sie wie ein Schlag in die Magengrube.
Nein. Nein. Das konnte sie nicht glauben. Er war immer noch von der Liebe zu seiner Frau erfüllt, jeder konnte das sehen, und selbst wenn es nicht so gewesen wäre, hätte sie geschworen, dass er nicht zu der Sorte gehörte, die … Doch was wusste sie schon über Männer?
Nun, sie würde ihn fragen, wenn sie ihn sah, beschloss sie und presste die Lippen fest zusammen. Und bis dahin … Ihre Hand fuhr an den Rosenkranz an ihrer Taille, und sie sprach ein rasches, stummes Gebet für Léonie. Nur für alle Fälle.
Während sie in ihrem grauenvollen Französisch den Preis für sechs Auberginen aushandelte (und sich unterdessen fragte, wozu in aller Welt sie gut waren, Arznei oder Essen?), kam ihr zu Bewusstsein, dass jemand neben ihr stand. Ein gut aussehender Mann in den mittleren Jahren, der sie ein wenig überragte und einen modisch geschnittenen taubengrauen Rock trug. Er lächelte sie an, berührte eine der merkwürdigen Gartenfrüchte.
»Nehmt nicht die Großen. Sie sind zäh«, sagte er langsam und schlicht auf Französisch. »Nehmt die Kleinen so wie diese hier.« Sein langer Finger tippte auf eine Aubergine, die halb so groß war wie die Exemplare, die der Gemüsehändler ihr aufzudrängen versuchte, und der Verkäufer brach in eine derart heftige Schimpftirade aus, dass Joan blinzelnd einen Schritt zurücktrat.
Weniger wegen der Ausdrücke, die man ihr entgegenschleuderte – sie verstand ja nicht einmal jedes zehnte Wort –, sondern weil eine Stimme in klarem Englisch gerade deutlich in ihrem Kopf gesagt hatte: » Sag ihm, er soll es nicht tun .«
Ihr wurde heiß und kalt zugleich.
»Ich … äh … je suis … ähm … merci beaucoup, monsieur !«, entfuhr es ihr, und sie wandte sich um und rannte los, vorbei an Bergen von Narzissenzwiebeln und duftenden Hyazinthensprösslingen, während ihre Schuhe auf dem Schleim zertretener Blätter ausrutschten.
» Soeur Gregory!« Schwester Mathilde ragte so plötzlich vor ihr auf, dass sie fast mit der kräftigen Nonne zusammengeprallt wäre. »Was macht Ihr denn? Wo ist Schwester Miséricorde?«
»Ich … oh.« Joan schluckte und nahm sich zusammen. »Sie ist – dort drüben«, sagte sie erleichtert, als sie den Kopf der Gesuchten in vorderster Reihe vor einem Fleischwagen erspähte. »Ich hole sie!«, sagte sie hastig und ging davon, bevor Schwester Mathilde noch etwas sagen konnte.
» Sag ihm, er soll es nicht tun .« Das war es, was die Stimme über Charles Pépin gesagt hatte. Was war nur los?, dachte sie wild. Heckte Monsieur Pépin etwa gemeinsam mit dem Mann mit dem taubengrauen Rock etwas
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