Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane
ganz sicher. Raymond der Frosch war jünger, als er dreißig Jahre zuvor gewesen war. Es war also möglich – irgendwie.
Er war inzwischen fest überzeugt, dass Raymond in der Tat ein Reisender war wie er. Das musste der Grund sein; genau gesagt das Vorwärtsreisen in der Zeit. Doch wie? Er hatte es versucht, mehr als einmal. Zurückzugehen war gefährlich, und man wurde von der Reise körperlich ausgelaugt, doch es war möglich. Wenn man die richtige Kombination von Steinen hatte, konnte man sogar in einer bestimmten Zeit ankommen – mehr oder weniger. Doch man brauchte unbedingt ein Ziel; jemanden oder etwas, worauf man sich konzentrieren konnte; ohne das war die Gefahr groß, dass man an einem zufälligen Ort rauskam. Und das, so dachte er, war das Problem beim Vorwärtsreisen; es war nicht möglich, sich auf etwas zu konzentrieren, wovon man nicht wusste, dass es da war.
Doch Master Raymond hatte es getan.
Wie also konnte er den Frosch überreden, sein Geheimnis mit ihm zu teilen? Raymond schien ihm nicht feindlich gesinnt zu sein, jedoch ebenso wenig freundlich; das hatte Rakoczy auch kaum erwartet.
Eine verlorene Tochter, hatte der Frosch gesagt. Und er hatte Rakoczy vergiftet, um ihn als Bedrohung für Frasers Frau, für La Dame Blanche aus dem Weg zu räumen. Und die Frau hatte blau geleuchtet – weil sie ihn berührt hatte, als sie ihm das Trinkgefäß reichte? Er wusste es nicht mehr. Doch sie hatte geleuchtet, das wusste er.
Wenn er also recht hatte, war auch sie eine Reisende.
» Merveilleuse «, flüsterte er. Die Frau hatte ihn schon vorher interessiert; jetzt war er besessen von ihr. Er musste nicht nur erfahren, was sie wusste; sie war auch irgendwie wichtig für Raymond, vielleicht in Verbindung mit der verlorenen Tochter – vielleicht war sie die verlorene Tochter?
Wenn er ihrer nur habhaft werden könnte … Er hatte ein paar vorsichtige Nachforschungen angestellt, doch niemand im Hof der Wunder oder unter seinen respektableren Verbindungen hatte in den letzten dreißig Jahren von Claire Fraser gehört. Ihr Mann war politisch engagiert gewesen, war ums Leben gekommen, dachte er, in Schottland. Doch wenn sie mit ihm nach Schottland gegangen war, wie kam es dann, dass Raymond in Paris nach ihr suchte?
Diese und viele ähnliche Gedanken rasten in seinem Kopf umher wie ein Schwarm Flöhe und hinterließen juckende Flecken der Neugier.
Der Himmel hatte sich zu erhellen begonnen, obwohl die Sterne immer noch gedämpft über den Dächern leuchteten. Der Geruch frischen Holzrauchs drang ihm in die Nase und ein Hauch von Hefe: die Boulangeries , die die Öfen für das Brot des neuen Tages befeuerten. Fernes Hufgeklapper, weil die Bauernwagen vom Land in die Stadt kamen – mit Gemüse, frischem Fleisch, Eiern und Blumen. Die Stadt begann sich zu regen.
Sein eigenes Haus, sein eigenes Bett. Sein Kopf hatte sich jetzt beruhigt, und der Gedanke an Schlaf war überwältigend. Auf der Eingangstreppe seines Hauses saß eine graue Katze und leckte sich die Pfoten.
» Bon jour «, sagte er zu ihr, und in seinem schlaftrunkenen, erschöpften Zustand erwartete er beinahe, dass sie ihm antwortete. Doch sie tat es nicht, und als der Butler die Tür öffnete, verschwand sie so schnell, dass er sich fragte, ob sie tatsächlich je da gewesen war.
MÜDE VOM VIELEN GEHEN schlief Michael in diesen Tagen wie ein Toter, traumlos und ohne sich zu regen, und erwachte bei Sonnenaufgang. Sein Leibdiener Robert hörte ihn erwachen und kam sofort herein, gefolgt von einer der femmes de chambre mit einer Schale Kaffee und frischem Gebäck.
Er aß langsam und ließ es über sich ergehen, gebürstet, rasiert und vorsichtig in frisches Leinen gekleidet zu werden. Robert murmelte unablässig beruhigend auf ihn ein, jene Art von Konversation, die keiner Antwort bedarf, und lächelte ermunternd, als er ihm den Spiegel hinhielt. Zu Michaels großer Überraschung sah das Bild im Spiegel völlig normal aus. Das Haar ordentlich geflochten – er trug sein eigenes Haar ungepudert –, der Anzug unauffällig geschnitten, aber von feinster Qualität. Robert hatte ihn nicht gefragt, was er wünschte, sondern ihn für einen normalen Tag im Geschäft gekleidet.
Das war wohl auch nicht falsch. Welche Rolle spielten schließlich schon Kleider? Es war ja nicht so, als gäbe es eine Kleidervorschrift für einen Besuch bei der Schwester seiner verstorbenen Frau, die einen mitten in der Nacht ungebeten im Bett besucht hat.
Er hatte die
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