Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane
Old England« von Anfang bis Ende pfeifen; wer zuerst lachte, hatte verloren. Er verlor, doch an seinen Bruder dachte er nicht mehr.
Kurz nach Mitternacht refften die großen Schiffe lautlos ihre Segel, warfen die Anker und lagen wie schlafende Möwen auf dem dunklen Fluss. L’Anse au Foulon, der Landeplatz, den Malcolm Stubbs und seine Kundschafter General Wolfe empfohlen hatten, lag sieben Meilen flussabwärts am Fuße steiler, bröckeliger Schieferklippen, die zur Abrahamsebene hinaufführten.
»Ob sie wohl nach dem biblischen Abraham benannt ist?«, hatte Grey neugierig gefragt, als er diesen Namen hörte, doch man hatte ihm mitgeteilt, dass sich oben auf der Klippe eine Farm befand, die einem ehemaligen Lotsen namens Abraham Martin gehörte.
Im Großen und Ganzen war ihm dieser prosaische Ursprung ganz recht. Es würden sich wahrscheinlich genug Dramen auf diesem Stück Boden abspielen, ohne dass man zusätzlich noch an antike Propheten, Zwiegespräche mit Gott oder irgendwelche Berechnungen dachte, wie viele Männer wohl in der Festung von Quebec Platz fanden.
So lautlos wie möglich stiegen die Highlander und ihre Offiziere sowie Wolfe und die Männer seiner Wahl – darunter auch Grey – in die kleinen bateaux um, die sie in aller Stille zu der Landestelle tragen würden.
Die Geräusche der Ruder gingen zum Großteil im Rauschen des Flusses unter, und in den Booten redete kaum noch jemand. Wolfe saß seinen Männern zugewandt am Bug des vorderen Bootes und sah sich hin und wieder nach dem Ufer um. Ohne jede Vorwarnung begann er zu sprechen. Er hob zwar seine Stimme nicht, doch die Nacht war so still, dass ihn die Männer im Boot ohne Schwierigkeiten hören konnten. Zu Greys Erstaunen rezitierte er die »Elegie, geschrieben auf einem Dorfkirchhof«.
Melodramatischer Esel , dachte Grey – und konnte doch nicht leugnen, dass ihn der Vortrag seltsam bewegte. Wolfe sprach gänzlich unaffektiert. Es war so, als redete er schlicht mit sich selbst, und ein Schauder überlief Grey, als er die letzte Strophe erreichte.
»Der Wappen Prahlerei, der Pomp der Macht,
Was je der Reichtum und was Schönheit gab,
Sinkt unerlöslich hin in eine Nacht:
Der Pfad der Ehre führet nur ins Grab «, schloss Wolfe so leise, dass ihn nur die drei oder vier Männer hören konnten, die ihm am nächsten saßen. Grey war nah genug, um zu hören, wie er sich leise räusperte, und sah, wie sich seine Schultern hoben.
»Meine Herren«, sagte Wolfe und hob dabei nun etwas seine Stimme, »ich hätte lieber diese Zeilen geschrieben, als Quebec eingenommen.«
Die Männer regten sich, und ein Hauch von Gelächter erhob sich unter ihnen.
Ich auch , dachte Grey. Der Dichter, der sie geschrieben hat, sitzt jetzt wahrscheinlich an seinem gemütlichen Feuer in Cambridge und isst Buttergebäck, statt sich darauf vorzubereiten, aus großer Höhe abzustürzen oder den Hintern weggeschossen zu bekommen.
Er wusste nicht, ob das einfach nur ein weiteres Beispiel für Wolfes typische Theatralik war. Vielleicht – vielleicht auch nicht, dachte er. Am Morgen war er Oberst Walsing bei den Latrinen begegnet, und Walsing hatte erwähnt, dass ihm Wolfe am Abend zuvor einen Schmuckanhänger mit der Anweisung gegeben hatte, ihn Miss Landringham zukommen zu lassen, mit der Wolfe verlobt war.
Allerdings war es ja nichts Ungewöhnliches, wenn ein Mann vor einer gefährlichen Schlacht einem Freund seine persönlichen Wertgegenstände anvertraute. Wenn man getötet oder schwer verwundet wurde, war es möglich, dass man ausgeplündert wurde, bevor einen die Kameraden bergen konnten, und nicht jeder hatte einen vertrauenswürdigen Bediensteten, bei dem er solche Gegenstände zurücklassen konnte. Er hatte selbst oft Schnupftabaksdosen, Taschenuhren oder Ringe für Freunde in der Schlacht aufbewahrt – er hatte den Ruf gehabt, ein Glückspilz zu sein, vor Crefeld. Heute Nacht hatte ihn niemand darum gebeten, etwas aufzubewahren.
Instinktiv verlagerte er das Gewicht, weil er eine Veränderung der Strömung spürte, und Simon Fraser, der neben ihm saß, schwankte in die entgegengesetzte Richtung und prallte mit ihm zusammen.
» Pardon «, murmelte Fraser. Am Abend zuvor hatte Wolfe beim Essen jeden von ihnen ein Gedicht auf Französisch rezitieren lassen, und alle waren sich einig, dass Fraser den authentischsten Akzent hatte – schließlich hatte er einige Jahre zuvor in Holland für die Franzosen gekämpft. Sollten sie von einem Wachtposten angerufen
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