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Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Titel: Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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vermisste seine Gegenwart sehr.
    Er war sich nicht sicher, ob Wolfe die Highlander gewählt hatte, weil sie geschickte Kletterer waren, oder weil er ihr Leben bereitwilliger aufs Spiel setzte als das seiner eigenen Männer. Letzteres, dachte er. Wie die meisten englischen Offiziere betrachtete Wolfe die Highlander misstrauisch und mit einer gewissen Verachtung. Zumindest die Offiziere, die noch nie an ihrer Seite gekämpft hatten – oder gegen sie.
    Von seinem Standpunkt am Fuß der Klippen aus konnte er sie zwar nicht sehen, doch er konnte sie hören; das Scharren ihrer Füße, hin und wieder Arme und Beine, die um sich schlugen, und das Klappern kleiner Steine, die hinunterfielen, laute Grunzlaute der Anstrengung und etwas, das er als gälische Anrufungen Gottes, seiner Mutter und diverser Heiliger erkannte. Neben ihm zog sich ein Mann eine Perlenkette aus dem Hemdkragen und küsste das kleine Kreuz, das daran befestigt war, dann steckte er sie wieder ein, packte einen kleinen Schössling, der aus den Felsen wuchs, und schwang sich hinauf, schwingenden Kilts, baumelnden Schwertes, ein kurzer Umriss, bevor ihn die Dunkelheit verschlang. Grey fasste erneut an den Griff seines Dolches, sein eigener Talisman gegen das Böse.
    Es wurde ein langes Warten in der Dunkelheit; in gewisser Hinsicht beneidete er die Highlander, die zumindest nicht mit der Langeweile kämpfen mussten, was auch immer ihnen sonst widerfuhr. Die scharrenden Geräusche und halb erstickten Aufschreie, wenn ein Fuß abrutschte und ein Kamerad eine Hand oder einen Arm packte, ließen erahnen, dass der Aufstieg exakt so unmöglich war, wie er erschien.
    Plötzlich erscholl über ihnen ein Donnern und Krachen, und die Männer am Ufer stoben in Panik auseinander, als mehrere angespitzte Baumstämme aus der Dunkelheit gepoltert kamen, die man aus einer Baumsperre gerissen hatte. Einer davon war keine zwei Meter von Grey entfernt mit der Spitze zuerst gelandet und steckte jetzt zitternd im Sand. Ohne jede Diskussion zogen sich die Männer auf die Sandbank zurück.
    Das Scharren und Grunzen wurde leiser und hörte schließlich gänzlich auf. Wolfe, der auf einem Felsen gesessen hatte, erhob sich und blickte angestrengt nach oben.
    »Sie haben es geschafft«, flüsterte er, und seine Fäuste ballten sich mit derselben Erregung, die auch Grey empfand. »Gott, sie haben es geschafft!«
    So war es, und die Männer am Fuß der Klippen hielten den Atem an; oben stand ein Wachtposten. Stille, nur das ewige Rauschen von Baum und Fluss. Und dann ein Schuss.
    Nur einer. Die Männer unten traten von einem Bein auf das andere, berührten ihre Waffen, bereit, ohne zu wissen, wofür.
    Kamen da Geräusche von oben? Er konnte es nicht sagen, und aus reiner Nervosität wandte er sich ab, um gegen die Klippen zu urinieren. Er verschloss gerade seine Hose, als er über sich Simon Frasers Stimme hörte.
    »Wir haben sie, bei Gott!«, rief er leise. »Kommt schon, Jungs – die Nacht ist nicht lang genug!«
    Die nächsten Stunden verschwammen in dem anstrengendsten Unterfangen, das Grey erlebt hatte, seit er mit dem Regiment seines Bruders die schottischen Highlands durchquert hatte, um General Cope Kanonen zu bringen. Nein, eigentlich, so dachte er, als er in der Dunkelheit stand, ein Bein zwischen einen Baum und den Felsen geklemmt, unter ihm zehn Meter unsichtbare Luft, ein Seil mit einem ebenso unsichtbaren Zweihundert-Pfund-Gewicht am Ende in den versengten Handflächen, eigentlich war das hier schlimmer.
    Die Highlander hatten die Wachen überrascht, ihren flüchtenden Hauptmann in die Ferse geschossen und sie alle gefangen genommen. Das war der leichte Teil. Als Nächstes galt es für den Rest der Truppe, die Klippen zu ersteigen, jetzt, da der Pfad – wenn es denn so etwas gab – freigeräumt war. Dort würden sie die Vorbereitungen dafür treffen, nicht nur den Rest der Männer, die jetzt auf den Schiffen den Fluss hinunterkamen, nach oben zu holen, sondern auch siebzehn Kanonen, zwölf Haubitzen, drei Mörser und sämtliches Zubehör in Form von Kugeln, Pulver, Planken und Protzen, das notwendig war, um diese Artillerie in Funktion zu setzen. Wenigstens, so dachte Grey, würden sie, wenn sie damit fertig waren, den senkrechten Pfad entlang der Klippen zu einem schlichten Kuhpfad zurechtgetrampelt haben.
    Als sich der Himmel lichtete, blickte Grey kurz von seinem Standpunkt an der Spitze der Klippen auf, wo er gerade beaufsichtigte, wie der Rest der Artillerie über

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